Recht auf Flüchtlingsstatus für syrische Kriegsdienstverweigerer!

Die neugeborene Hoffnung…

Mit seinem Urteil vom 19. November 2020 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) klargestellt, dass syrische Kriegsdienstverweigerer im Regelfall Flüchtlingsstatus bekommen müssen. Dies ist seit 2016 in Deutschland aber nicht der Fall, stattdessen erhalten viele Antragsteller subsidiären Schutzstatus. Für sie liegen nach der Meinung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Verfolgungsmerkmale gem. § 3 Abs.1 Nr.1 AsylG, die einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründen (Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe), nicht vor. (VG Stuttgart, Urteil vom 14.12.2020 – A 13 K 3224/20).

In solchen Fällen geht das BAMF demnach nicht davon aus, dass eine Verfolgungssituation im Heimatland besteht, wohl aber, dass ein ernsthafter Schaden bei der Rückkehr drohen würde, was die Grundlage für die Erteilung von subsidiärem Schutz bildet. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche/erniedrigende Behandlung und die Bedrohung des Lebens durch Krieg oder Bürgerkrieg i.S.d § 4 Abs.1 AsylG .
Somit ist der subsidiäre Schutz gem. § 25 Abs. 2 Satz 1 ,2 AufenthG i.V. m. § 4 Abs.1 AsylG für viele Kriegsdienstverweigerer die einzige Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.


Was resultiert aus der Entscheidung des EuGHs?

Die Entscheidung des EUGHs hat neue Hoffnung für syrische Wehrdienstverweigerer geweckt, insbesondere für jene, deren Asylverfahren schon rechtskräftig abgeschlossen sind, weil ihr Schutzstatus nachträglich über einen Folgeantrag zum Flüchtlingsstatus verändert werden könnte.
Diese Entscheidung des EuGHs ändert die Rechtslage der Kriegsdienstverweigerer, die den subsidiären Schutzstatus erhalten haben.
Weil diese Änderung der Rechtslage zu ihren Gunsten ausfällt, kommt § 71 AsylG zur Anwendung, da „es neue Gründe gibt, die im Asylverfahren bislang nicht geprüft wurden, bzw. erst nach Abschluss des Asylverfahrens bekannt wurden“. (Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V, Asylfolgeantrag).
Aus diesem Grund ist es sinnvoll, einen Asylfolgeantrag zu stellen.

Was ist entsprechend dem Urteil des EuGH zu beachten?

In seinem Urteil stellt der EuGH fest, dass im Falle einer Kriegsdienstverweigerung, im Rahmen des syrischen Bürgerkriegs, eine Vermutung dafür besteht, dass diese Verweigerung mit einem Grund zusammenhängt, der zur Bejahung der Flüchtlingseigenschaft führen kann. (Pressemitteilung Gerichtshof der Europäischen Union Nr. 142/20, Luxemburg, den 19. November 2020, Urteil in der Rechtssache C-238/19).

Der EuGH verwies zunächst auf die EU-Asylanerkennungs-Richtlinie, die einen Asylanspruch für Kriegsdienstverweigerer vorsieht, wenn diese sonst an Kriegsverbrechen teilnehmen müssten, was gerade bezüglich der Kriegsverbrechen im Fall der syrischen Armee gut dokumentiert ist. (Taz, Gastkommentar Chemiewaffen in Syrien). Menschenrechtsaktivisten und internationale Menschenrechtsorganisationen, wie z.B. Human Rights Watch, berichteten über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die syrische Armee. (Human Rights Wach, 15.Oktober 2020).

In der Resolution des UN-Menschenrechtsrats vom 08.Oktober 2019, haben die Vereinten Nationen die Angriffe auf Zivilpersonen „insbesondere durch die syrischen Behörden“ verurteilt. (Generalversammlung der Vereinten Nationen, Resolution des Menschenrechtsrats , verabschiedet am 27.September 2019). Die syrische Armee hat als Hauptstütze des Regimes somit nachweislich Kriegsverbrechen begangen und der Verdacht, dass Wehrpflichtige sich an Kriegsverbrechen beteiligen müssen, ist begründet.

Diesbezüglich ist festzustellen, dass es seitens der Wehrpflichtigen im Herkunftsland unmöglich ist, den Militärdienst zu verweigern und dies von staatlicher Behörde schriftlich bestätigen zu lassen, da ein Verweigerungsrecht gesetzlich nicht vorgesehen ist. Dementsprechend kann es laut EuGH der betroffenen Person auch nicht vorgeworfen werden, wenn sie ihre Verweigerung des Kriegsdienstes nicht bei der syrischen Militärverwaltung angezeigt hat. (Pressemitteilung Gerichtshof der Europäischen Union, Nr. 142/20, Luxemburg, den 19. November 2020, Urteil in der Rechtssache C-238/19).

In Syrien wurde der Militärdienst im Jahr 1950 gesetzlich durch Dekret Nummer 61 im militärischen Strafgesetzbuch geregelt, wonach die Militärdienstverweigerung hart bestraft wird. Nach dem syrischen militärischen Strafgesetzbuch ist für flüchtige Einberufene, die sich im Landesinneren aufhalten, eine Freiheitstrafe von bis zu fünf Jahren nach § 99, 100 und bis zu 15 Jahren für Wehrdienstverweigerer im Ausland nach § 101 vorgeschrieben. Sofern der Dienstverweigerer zum Feind geflohen ist, sieht das syrische Militärstrafgesetzbuch § 102 die Todesstrafe vor. (Ecoi.net, Militärstrafgesetz erlassen durch Gesetzesdekret Nr. 61 vom 27. Februar 1950).

Die EU-Staaten, wohin zahleiche Syrer flüchteten, hatten schon sehr früh ihre Position zum Syrienkrieg erklärt: Assad müsse gehen. Dementsprechend ist die Position des syrischen Regimes gegenüber der EU. (Carnegie Europe, in Search of an EU Roe in the Syrian War, Marc Pierini, 18.08.2016). Somit sind die in die EU geflüchteten Syrer zumindest mit vielen Jahren Freiheitsstrafe bedroht.

Der EuGH erklärt in seinem Urteil die Verweigerung des Militärdiensts in Syrien, in vielen Fällen aus politischer oder religiöser Überzeugung oder infolge der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, als rechtens.

Wie bereits dargestellt besteht in Syrien keine legale Möglichkeit die militärischen Pflichten abzulehnen, und jede Verweigerung des Dienstes wird als politische Opposition von syrischen Behörden ausgelegt, unabhängig von den tatsächlichen, vielleicht komplexeren persönlichen Gründen der verfolgten Person. (Neue Zürcher Zeitung , der Aufstieg der Asads , Christian Weisflog, 13.11.2020).

Für Armeeangehörige ist die Mitgliedschaft in der Baath-Partei faktisch verpflichtend, um willkürlichen Repressionen zu entgehen. Bis zum Ausbruch der Revolution im Jahr 2011 war es in Syrien unvorstellbar, dass jemand Al-Baath-Anschauungen widerspricht, oder dies auch nur zum Thema macht. Mit dem Selbstverständnis der Armee als rechte Hand des Assad-Regimes und infolge der 40 Jahre bestehenden Treue zu einem repressiven Regime stellt die Militärdienstverweigerung somit einen „Akt politischer Opposition“ dar und ist damit ein Verfolgungsmerkmal. (Pressemitteilung Gerichtshof der Europäischen Union, PRESSEMITTEILUNG Nr. 142/20, Luxemburg, den 19. November 2020, Urteil in der Rechtssache C-238/19).

Betrifft die EuGH-Entscheidung alle Kriegsdienstverweigerer?

Die Kriegsdienstverweigerer in Syrien sind nach dem Aufstand von 2011 drei Kategorien zuzuordnen: Jene, die den Dienst noch nicht angetreten sind, aber mit Vollendung des 18. Lebensjahres dazu verpflichtet sind, jene, die den Dienst schon geleistet haben und wegen des andauernden Krieges erneut zur Kriegsdienstleistung aufgefordert wurden, und jene, die während ihres Dienstes geflohen sind.

Es ist nach Einzelfall zu prüfen, ob der Dienstverweigerer den militärischen Dienst aus politischer oder religiöser Überzeugung oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe abgelehnt hat.

Die Glaubwürdigkeit der Antragsteller spielt eine große Rolle in der BAMF-Entscheidung. Daher ist es wichtig, aber nicht allein entscheidend, dass der Antragsteller die Verweigerungsgründe in der Asylanhörung schildert. Auf jeden Fall schenkt die EuGH-Entscheidung vielen syrischen Kriegsverweigerern eine Chance, ihren Schutzstatus durch einen Asylfolgeantrag zu verbessern.