Flüchtlingsbewegungen international: Die Situation der Rohingya in Myanmar

In den letzten Jahren nahmen Fluchtbewegungen weltweit stetig zu. Laut dem UNHCR gab es im Jahr 2018 zum ersten Mal über 70 Millionen Flüchtende, was die höchste Zahl seit der Gründung der Organisation im Jahr 1950 darstellt.

Unter diese Millionen von Flüchtenden fallen auch die Rohingya aus Myanmar, laut dem UN Generalsekretär António Guterres „die vielleicht am meisten diskriminierte Gruppe der Welt“. In den deutschen und europäischen Medien wurde der Gruppierung 2017 —  als die Verfolgung der Rohingya ihren Höhepunkt erreicht hatte —  viel Aufmerksamkeit geschenkt. Danach gab es nur noch einige wenige Berichte über die Entwicklung der Situation. Dieser Aufsatz soll die Situation der Rohingya in Myanmar, die Fluchtrouten und die Lage in den Zufluchtsländern sowie die Reaktion der internationalen Politik auf die Verfolgung erläutern.

Situation der Rohingya in Myanmar

Im Gegensatz zu der Mehrheit der Bevölkerung in Myanmar, die dem buddhistischen Glauben angehört, sind die Rohingya muslimische Glaubensangehörige. Sie unterscheiden sich ethnisch, sprachlich und in der Ausübung ihrer Religion stark von der buddhistischen Mehrheit. In Myanmar lebten vor August 2017 ca. 1 Millionen Rohingya. Auch der Begriff „Rohingya“ ist umstritten: Von Teilen der buddhistischen Mehrheit wird dieser nicht anerkannt. Stattdessen werden sie als „Bengalen“ bezeichnet und dementsprechend aufgefordert, nach Bangladesch „zurückzukehren“.

Doch die Situation der Rohingya beschränkt sich nicht nur auf soziale Probleme mit der buddhistischen Mehrheit, auch rechtlich wird ihnen wenig zuerkannt. Im Jahr 1982 wurde dies durch ein neues Staatsangehörigkeitsgesetz verschärft — Rohingya konnten keine Staatsangehörigkeit mehr erlangen. Stattdessen bekamen sie sog. White Cards als Identitätsnachweise, durch die nur ein temporärer Aufenthalt anerkannt wurde. Nach der langen Militärdiktatur durften die White Card Besitzer*innen zunächst in dem Verfassungsreferendum 2008 und den Wahlen 2010 wählen. Jedoch wurde dieses Wahlrecht in einem weiteren Verfassungsreferendum 2015 den Rohingya durch Streichung der White Cards genommen. In den letzten Jahren tragen Rohingya Identitätsnachweise, die sie ausschließlich als Ausländer*innen betiteln (Haque, Journal of Muslim Minority Affairs 2017, Vol. 37 No. 4, 454-469).

Die Regierung von Myanmar hat es nicht dabei belassen: Letztendlich liegt eine institutionalisierte Diskriminierung gegen die Rohingya vor — die Gruppe wird im Heiraten, der Familienplanung, Beschäftigung, Bildung, Religionsausübung und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Dazu gehören z.B. die Beschränkung der Kinderanzahl auf zwei in den Städten Maungdaw und Buthidaung oder die behördliche Anforderung ein Foto ohne Kopftuch oder Bart einzureichen, um die staatliche Erlaubnis für eine Heirat zu erlangen.

Der Grund für die letzte große Fluchtbewegung im Jahre 2017 liegt jedoch nicht nur in der institutionalisierten Diskriminierung. Eine militante Gruppe, bekannt als die Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA), bekannte sich zu Angriffen auf Polizisten und Armeeposten. Die Regierung reagierte prompt, erklärte die ARSA zu einer Terrororganisation und griff zahlreiche Dörfer der Rohingya an, was letztendlich fast 700.000 Rohingya zur Flucht bewegte. Anschaulich berichtet der UNHRC Sonderberichterstatter von „Angriffen, in denen Häuser in Brand gesteckt worden sind, in vielen Fällen mit Menschen, die in den Häusern eingeschlossen waren und dass ganze Dörfer niedergebrannt worden sind“ und dass Eltern erlebt haben „wie ihre jungen Kinder in das Feuer geschmissen worden sind“.

Im ersten Monat der Angriffe (25.08.- 24.09.2017) starben 6.700 Rohingya. Laut einem UN-fact finding panel gibt es klare Indizien des Machtmissbrauchs durch das Militär, unter anderem gezielte Angriffe gegen Zivilist*innen, sexuelle Gewalt gegenüber Frauen und das Befürworten von diskriminierender Rhetorik gegen Minderheiten. Das Panel spricht der Regierung sogar einen „genocidal intent“ zu.

Flucht und Situation in Zufluchtsländern

Die meisten Rohingya flüchten ins Nachbarland Bangladesch. Schätzungsweise befinden sich über 914.000 Rohingya dort. Im Flüchtlingslager Kutupalong allein leben 640.000 Menschen — die meisten davon sind Rohingya. Es gibt dort dieselben Probleme, die man aus der Berichterstattung zu den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln bereits kennt: Kein Zugang zu Bildung, mangelnde Hygiene und eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Flüchtenden. Die unzureichenden Hygienemaßnahmen bieten auch die Möglichkeit der Verbreitung von zahlreichen Krankheiten. Am 14.05.2020 wurde dort auch der erste Fall einer Infektion mit dem Coronavirus in einem der Flüchtlingslager gemeldet  —  Isolationsplätze sind kaum vorhanden. Im Lager Kutupalong gibt es zum Beispiel nur eintausend Isolationsplätze. Auch die Arbeitsmöglichkeiten der Flüchtenden sind dort begrenzt: Viele arbeiten illegal, um irgendwie Geld zu verdienen, wozu auch Schmuggelei und Zwangsprostitution gehören. Einen offiziellen Flüchtlingsstatus oder eine andere rechtliche Anerkennung gibt es nicht. Die Regierung von Bangladesch hat versucht, ein Rückführungsabkommen mit Myanmar gegen den Willen der Rohingya abzuschließen, welches bisher zumindest noch nicht durchgesetzt werden konnte.

In vielen anderen der südasiatischen Zufluchtsländer sind die Probleme vergleichbar. In Malaysia, das über 100.000 Rohingya beherbergt, fehlt ebenfalls eine Form von rechtlicher Anerkennung, was den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung verwehrt. Zudem gibt es zahlreiche Berichte über die Einschüchterung und Verfolgung von Rohingya-Aktivist*innen. In Indien hingegen, wohin laut Angaben der indischen Regierung wohl 40.000 Rohingya geflohen sind, werden sie als illegale Immigrant*innen gesehen. Die nationalistisch geprägte Regierung Indiens arbeitet daran, die Flüchtenden zurück nach Myanmar zu bringen. Einige solcher Aktionen konnten hier bereits durchgeführt werden. Thailand dient hingegen oft als Zwischenstopp für die Weiterreise der Flüchtenden. Man kommt per Boot von Myanmar oder Bangladesch nach Thailand, um dann nach Indonesien oder Malaysia weiterzureisen. Hier finden sich jedoch zahlreiche Aktivitäten durch Gangs, die Menschenhandel betreiben und daher eine große Gefahr für die Flüchtenden darstellen.

Die Problematik der Situation wird auch durch rechtliche Faktoren verstärkt. Keiner der genannten Staaten ist der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. ihrem Zusatzprotokoll beigetreten. Die beteiligten Regierungen nehmen die Flüchtenden weitestgehend als Problem wahr und sind in Sachen Hilfs- und Sozialleistungen überfordert.

Rolle der internationalen Staatengemeinschaft

Die Reaktionen der internationalen Staatengemeinschaft fielen gemischt aus. Zahlreiche Staaten reagierten zunächst mit Wirtschaftssanktionen, die auch von wichtigen Industrieländern wie den USA, Kanada, Australien und der Europäischen Union gekommen sind. Zudem hat die humanitäre Hilfe, die an Myanmar und Bangladesch geleistet wird, zugenommen. Bisher konnten die Sanktionen jedoch keine Verbesserung der Stellung der Rohingya erzielen.

Jedoch beschloss im November 2019 Gambia im Namen der Organisation für Islamische Kooperation, eine Anklage beim Internationalen Gerichtshof auf Basis der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes zu erheben. Die Vorwürfe der Anklage von Gambia beziehen sich vor allem auf das Durchführen eines Genozids, das öffentliche Aufrufen zur Durchführung eines Genozids, keine zureichenden Präventionsmaßnahmen gegen einen Genozid und die fehlende Verfolgung der Täter*innen (Art. I, III, IV, V und VI der Völkermordkonvention). Ziel der Klage ist das Unterlassen solcher Maßnahmen durch die Regierung Myanmars und die Gewährleistung des Schutzes der Rohingya. Die Regierung Myanmars beharrte im bisherigen Verfahren darauf, dass keine organisierte Beteiligung staatlicher Institutionen an den Taten vorliegt. Der Gerichtshof entschied im Januar zumindest, dass Myanmar Maßnahmen unternehmen muss, um die Rohingya vor Gewalt und Verfolgung zu schützen und dem Gerichtshof davon berichten — ein finales Urteil wird Jahre auf sich warten lassen. Auch der internationale Strafgerichtshof hat eine Ermittlung in möglichen Verstößen des Völkerstrafrechts im November 2019 begonnen.

Doch welche Auswirkungen ein erfolgreiches Verfahren auf die Rohingya hat, ist unklar. In der Bevölkerung Myanmars sind die Rohingya nicht akzeptiert, ob die internationale Staatengemeinschaft die Maßnahmen durchsetzen kann ist fraglich und die Situation in den Flüchtlingslagern wird sich durch Entscheidungen des Gerichtshofes wohl nicht verbessern. Jedoch gab es zuletzt ein positives Zeichen: Die Regierung in Myanmar hat ihren ersten Bericht zur Lage der Rohingya eingereicht — der internationale Druck zeigt erste Auswirkungen.