Die Strategic Litigation Unit Regensburg – Strategische Prozessführung von Studierenden im Asylrecht

Strategische Prozessführung (engl. Strategic Litigation) wird zunehmend beliebter im Asylrecht, auch Law Clinics beschäftigen sich mit den Möglichkeiten, die sie bietet. Seit Dezember 2018 gibt es in Regensburg die Strategic Litigation Unit als ergänzendes Angebot zur dortigen RLC. Dieser Artikel soll den Begriff Strategic Litigation greifbar machen und Leser*innen sowie Law Clinics für diese Art der Rechtsdurchsetzung begeistern.

Was ist Strategic Litigation?

Eine abschließende Definition von strategischer Prozessführung gibt es nicht, weder in der deutschen (Rechts)Wissenschaft noch in den “Ursprungsländern” der strategischen Prozessführung wie den USA, dazu ist das Phänomen zu heterogen. Strategic Litigation kann jedoch auf eine lange und stolze Tradition zurückblicken. Oftmals als Mittel des sozialen Protests eingesetzt, wird sie auch als „politics by other means“ (vgl. Graser, RW 2019, 317 (331)) bezeichnet. Beispielhafte Verfahren lassen sich in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, der LGBTQ-Bewegung, der Klimaschutzbewegung, der Friedensbewegung, sowie in vielen anderen Bereichen finden — und eben auch bei der Durchsetzung der Rechte von Geflüchteten. Etablierte Akteure in Deutschland auf diesem Gebiet sind z.B. das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der JUMEN (Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland) e.V. Der entscheidende Aspekt der strategischen Prozessführung ist das Anstreben eines Ziels oder das Bewirken einer Veränderung, die über den Erfolg im eigentlichen Prozess hinausgeht.

Die Verfahren an sich können unterschiedlich angelegt sein und es können dabei vielfältige Ziele verfolgt werden. Als typische Charakteristika können eine medienwirksame Aufbereitung der Fälle zum Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit, großer Ressourcenaufwand, das Abzielen auf eine Grundsatzentscheidung und Kritik an herrschenden politischen und sozialen Verhältnissen genannt werden. Häufig zu beobachten ist auch die Zusammenarbeit von unterschiedlichen Akteuren wie NGOs, Anwaltschaft und Akteuren aus dem universitären Umfeld. All diese Merkmale müssen allerdings nicht kumulativ vorliegen, damit ein Verfahren als strategische Prozessführung bezeichnet werden kann (vgl. insgesamt zur Begriffsdefinition von Strategic Litigation: Graser, RW 2019, 317 (319-331); umfassend zur Praxis der Strategischen Prozessführung: Graser/Helmrich (Hrsg.), Strategic Litigation: Begriff und Praxis, Baden-Baden 2019).

Die Idee der Strategic Litigation Unit (SLU)

Die SLU ist ein Projekt des Vereins Legal Leverage Platform e.V., dem Trägerverein der Refugee Law Clinic Regensburg. Sie besteht aus fortgeschrittenen Studierenden, Referendar*innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen. Gemeinsam arbeiten wir an Fällen von strategischer Bedeutung für den Menschenrechtsbereich. Ziel ist es, die Fälle bis zu den obersten nationalen und europäischen Gerichten zu begleiten und über den Einzelfall hinaus die Rechtsprechung fortzuentwickeln.

Diese Arbeit kommt Schutzbedürftigen zugute, die sich im Normalfall eine anwaltliche Vertretung in aufwendigen Verfahren nicht leisten können. Betreut und unterstützt werden wir, die zwölf Studierenden und Referendar*innen, dabei von RA Dr. Christoph Lindner. Zusätzliche Unterstützung erhält die SLU durch den Lehrstuhl von Prof. Dr. Alexander Graser, an dem auch die RLC Regensburg begründet wurde. Auch uns kommt das Engagement in der SLU in vielerlei Hinsicht zugute. Wir lernen Tätigkeiten aus dem Anwaltsalltag kennen, wie das Aufsetzen einer Klageschrift, die Analyse von Urteilen und die Kommunikation mit Behörden. Auch die dabei manchmal nötige Frustrationstoleranz ist sicherlich eine Fähigkeit, die wir als angehende Jurist*innen für den späteren Lebens- und Berufsweg benötigen. Neben der Kompetenzvertiefung im Völker- und Menschenrecht sowie im Asyl(prozess)recht erlernen wir außerdem auch „softskills“ wie Arbeitsteilung, Kommunikation im Team, Zeit- und Fristenmanagement.

Darüber hinaus ermöglicht die strategische Prozessführung uns und unserer RLC, die „traditionelle“ Arbeit am Einzelfall mit politischer Betätigung und Öffentlichkeitsarbeit zu verbinden. Durch die intensive Arbeit am Einzelfall kann die Öffentlichkeit für die Rechte und Probleme von Geflüchteten sensibilisiert werden. Auch rechtspolitische Stellungnahmen zu besorgniserregenden Entwicklungen können in Öffentlichkeitsarbeit und Gerichtsverfahren geäußert werden.   

Unser Fall

In unserem ersten Fall kämpfen wir für die Rechte eines Opfers von Menschenhandel aus dem Senegal. Seit frühester Kindheit wurde er von seinem Onkel ausgebeutet, bis dieser ihn schließlich an einen Menschenhändler nach Mauretanien verkaufte. Dort musste er als Sklave harte körperliche Arbeit verrichten und wurde schwer misshandelt. Zweimal versuchte er erfolglos zu fliehen. Weder bei seiner Familie noch bei der Polizei wurde ihm Schutz gewährt, vielmehr wurde er in beiden Fällen erneut in die Sklaverei verkauft. Durch grausame Bestrafungen und Morddrohungen sollte er von einer weiteren Flucht abgehalten werden.

Erst drei Jahre später wagte unser Mandant erneut die Flucht. Es gelang ihm schließlich, nach Deutschland zu fliehen. Hier wurde ihm von den Behörden ein Schutzstatus verweigert. Auch der innerstaatliche Instanzenzug erwies sich als erfolglos. Zwar waren die deutschen Richter*innen von seinem Verfolgungsschicksal überzeugt, doch sahen sie keine Gefahr für ihn, bei einer Rückkehr erneut in die Fänge der Menschenhändler*innen zu geraten. Als Begründung hierfür diente dem Gericht der Status Senegals als sicherer Herkunftsstaat. Leider spielte es in der Bewertung des Gerichts keine Rolle, dass unser Mandant sich hierzulande inzwischen bestmöglich integriert hat, unbedingt arbeiten möchte und sich ehrenamtlich als Betreuer für Kinder mit Behinderung engagiert. 

Unserem Mandanten trotz der erwiesenen Vorverfolgung keinen Aufenthalt zu gewähren, verstößt unserer Rechtsauffassung nach eindeutig gegen die Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) (vgl. Lindner, in: Graser/Helmrich (s.o.), S.94 ff.). Wir sehen seinen Fall als von den nationalen Richter*innen nicht ausreichend individuell gewürdigt. Als Ziel der Beschwerde wurde definiert, ein möglichst wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenreche (EGMR) im Hinblick auf die Ableitung eines aufenthaltsrechtlichen Schutzstatus aus Art. 4 EMRK zu erreichen, das nicht nur unseren Mandanten, sondern Opfer von Menschenhandel allgemein schützen soll. Durch die Wirkung eines solchen Urteils wäre es zukünftig deutlich wahrscheinlicher, dass nationale Behörden und Gerichte Opfern von Menschenhandel aus Drittstaaten den benötigten Schutz gewähren — und das ohne den Gang durch die Instanzen beschreiten zu müssen. 

Vier Monate arbeiteten wir an der Beschwerdeschrift für unseren Mandanten. Nach mehreren vorbereitenden Workshops, Literaturrecherche und intensiver Diskussion konnten wir zu Beginn des Sommersemesters 2019 schließlich unsere erste Menschenrechtsbeschwerde beim EGMR einreichen. Parallel dazu arbeitete eines unserer Teams mit Erfolg daran, eine Arbeitserlaubnis für den Mandanten zu erstreiten. 

Neben der Arbeit an Beschwerde und Arbeitserlaubnis stellt auch die Öffentlichkeitsarbeit sowie die Vernetzung mit anderen Law Clinics und Organisationen eines unserer zentralen Anliegen dar. Bei Vernetzungstreffen wie dem Fachtag der Refugee Law Clinics Deutschland in Berlin oder beim Seminar „The Role of Law Clinics in Strategic Litigation in the field of Migration Law“ in Amsterdam nutzten wir die Gelegenheit, unser Projekt zu präsentieren und uns mit Gleichgesinnten über Möglichkeiten und Perspektiven strategischer Prozessführung auszutauschen. Wir werden auch künftig auf unseren Fall aufmerksam machen und gemeinsam mit anderen Law Clinics an Konzepten für Strategic Litigation im Asylrechtsbereich arbeiten. So ist für das Sommersemester 2020 ein Workshop an der LMU München im Rahmen des Praxismoduls Flüchtlingsrecht geplant.

Ausblick

Der eben geschilderte Fall war nur der Anfang. Season II der SLU ist im Dezember 2019 gestartet. Seitdem arbeiten wir an neuen Fällen für unseren aktuellen Schwerpunkt — dem Schutz von Opfern von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung —, die im Rahmen von strategischer Prozessführung aufbereitet werden sollen. Die Erweiterung unseres Netzwerks ist hierbei ein Schlüsselelement, um geeignete Konstellationen zu finden. So arbeiten wir in unserem aktuellen Fall mit der Frauenrechtsorganisation SOLWODI (SOLidarity with WOmen in DIstress – Solidarität mit Frauen in Not) e.V. in Regensburg zusammen.

Eine der Herausforderungen von strategischer Prozessführung ist die Suche nach passenden Fällen. Die Vertretenen müssen zunächst damit einverstanden sein, dass ihr Fall gegebenenfalls medienwirksam aufbereitet und an die Öffentlichkeit herangetragen wird. Im Fall von Menschenhandel ist hierbei zu beachten, dass Verfolgernetzwerke oftmals international aufgebaut sind und die Bedrohungslage für Opfer in Deutschland fortbestehen kann. Die Sicherheit und umfassende Betreuung müssen bei der Suche nach geeigneten Kläger*innen immer gewährleistet sein. Den Mandant*innen muss zusätzlich vermittelt werden, dass die Gewichtung der Prioritäten im Beratungsverhältnis anders als in der „klassischen” Fallarbeit erfolgt (vgl. Graser, RW 2019, 317 (339)). Die Interessen der Kläger*innen müssen deshalb stets mit den Zielen der Prozessführung abgewogen werden. Dies kann zu Konflikten führen, die im Einverständnis mit den Mandant*innen gelöst werden müssen.

Bei unserer Arbeit profitieren wir von den Erfahrungen, die Organisationen in der Beratung von Geflüchteten in den letzten Jahren gemacht haben. Insbesondere das Netzwerk der RLCs erweist sich oftmals als hilfreich. Für die Zukunft erhoffen wir uns deshalb, dass Law Clinics Strategic Litigation noch mehr als Chance für Ausbildung und Rechtsdurchsetzung sowie als Mittel des rechtlichen Protests gegen die Missachtung von Menschenrechten Asylsuchender nutzen. Die bestehenden Netzwerke und Infrastruktur innerhalb und zwischen den Law Clinics können deutschland- und europaweit als fruchtbarer Boden für erfolgreiche strategische Prozessführung dienen.

Georg Freiß und Elisabeth Rauh studieren im siebten Semester Rechtswissenschaft an der Universität Regensburg, sind langjährige Mitglieder der RLC Regensburg und seit Beginn Mitarbeitende der SLU. In ihrem Schwerpunktstudium setzen sie sich mit europäischem und internationalem Recht auseinander. Beide haben sich im Rahmen ihrer Studienarbeit mit dem Thema Strategic Litigation beschäftigt.

Für Fragen, Anregungen und Kooperationsvorschläge: slu.regensburg@ur.de

Mehr Informationen zur RLC Regensburg: https://rlc-regensburg.de/