Wie kann (oder muss) Rechtsberatung für Geflüchtete aussehen?

Es ist gut dreieinhalb Jahre her, als hunderttausende Menschen innerhalb eines kurzen Zeitraumes nach Deutschland kamen. Im ehrenamtlichen Bereich brach eine Welle der Solidarität, einhergehend mit Euphorie, aus. Dieses Ereignis kann zweifelsfrei als Ausgangspunkt für die Professionalisierung der studentischen Rechtsberatungen mit Schwerpunkt Asylrecht gesehen werden. Nun müssen sich aber alle Refugee Law Clinics (RLCs) die Frage stellen, wie in den kommenden Jahren eine praxis- und lösungsorientierte Beratung auf die Beine gestellt werden kann.

Daher die Frage: Studentische Flüchtlingsberatung – Quo Vadis?

Ein Rückblick

Um Handlungsalternativen für die Zukunft abzuleiten, scheint es sinnvoll auf die letzten Jahre zurückzublicken. Als die Asylsuchenden an den Bahnhöfen in Deutschland ankamen, gab es viel zu tun. Ausgehend vom Asylantrag und der Zuweisung in Unterkünfte, über die Vorbereitung und Begleitung zur Anhörung, bis hin zur Beantragung von (Sozial-)Leistungen, gab es viele Ansatzpunkte und viel Arbeit für die studentischen Berater*innen (vgl. auch Riebau, Asylmagazin 06/2015, 194 (195); Münch, Asylmagazin 04/2015, 104). Insbesondere die Anhörungsvorbereitung war ein Schwerpunkt vieler Rechtsberatungen. Dies hatte letztendlich damit zu tun, dass die deutschen Behörden auf eine so große Anzahl Schutzsuchender nicht vorbereitet waren. Nur aus diesem Grund konnten die Refugee Law Clinics frühzeitig in die Beratung des Verfahrens einsteigen. Wie sich mit Blick auf heute zeigt, besteht rein tatsächlich kaum noch eine Möglichkeit in den frühen Phasen eines Asylverfahrens Einfluss nehmen zu können. Oftmals haben unsere Mandaten und Mandantinnen schon den Asylantrag gestellt, wurden in einer Unterkunft untergebracht und haben auch die Anhörung hinter sich gebracht. Gründe hierfür sind zum einen, dass 2018 nur rund 186.000 Asylanträge gestellt wurden und damit im Vergleich zu 2016 (ca. 280.000) und 2015 (ca. 890.000) deutlich weniger (vgl. Pressemitteilung des BIM vom 23.01.2019) und zum anderen hat vor allem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seine Strukturen angepasst und kann nun deutlich schneller entscheiden als noch vor einem oder zwei Jahren.

Status quo

Die soeben beschriebenen Entwicklungen waren im letzten Jahr in der Beratung spürbar. So treten viele Asylsuchende erst mit Beratungen in Kontakt, wenn sie einen ablehnenden Bescheid des BAMF erhalten haben. Auffällig und resultierend aus den oben genannten Gründen ist, dass viele mit negativen „Dublin-Bescheiden“ oder abgelehnten Entscheidungen Rechtsrat suchen. Dies kann RLCs vor besondere Herausforderungen stellen. Einerseits gelten inhaltliche Besonderheiten (insb. bei Dublin-Verfahren), mithin gilt es sich hier weitere Kenntnisse anzueignen (z.B. Länderberichte auszuwerten), und andererseits laufen in diesen Fällen für Rechtsbehelfe lediglich Fristen von einer Woche (!) bzw. zwei Wochen (!). Allein schon das zeitliche Kriterium dürfte für die meisten Beratungen dazu führen, dass solche Fälle nicht bearbeitet werden, sondern an fachkundige Rechtsanwälte weiterzuleiten sind.

In einem Atemzug stellt sich die grundlegende Frage, ob das Einlegen von Rechtsmitteln, insbesondere Klageerhebung, als Aufgabe von studentischen Rechtsberatungen anzusehen ist. Es ist davon auszugehen und meines Erachtens auch zu raten, dass eine studentische Beratung solche Fälle ablehnt (vgl. zu einer möglichen Haftung Heuser, Asylmagazin 6/2016, 152 (153)). Allenfalls kann und sollte Recherche- und Unterstützungsarbeit für Rechtsanwälte geleistet werden. Logische Folge ist dann allerdings auch, dass hier der Anwendungsbereich für unsere Beratung deutlich begrenzt wird.

Was muss sich ändern?

Diese Tendenz wird in Zukunft noch zunehmen, denn der Zugang zum Recht wird (politisch gewollt) immer schwieriger. Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen und behaupten, dass RLCs weiterhin viel zu tun haben werden und ihrem Beratungsmodell treu bleiben sollten. Dies trifft mit Sicherheit auch in gewisser Weise zu. Trotz allem sollten, ja dürfen, sich die RLCs auch strategischen Fragen und neuen Beratungsfeldern nicht verschließen.

So scheint es naheliegend, sich mehr mit den Rechtsproblemen im Anschluss an ein Asylverfahren zu beschäftigen. Hier kann ein Fokus auf Familienzusammenführung, der Ausbildungsduldung oder allgemein der Verlängerung der Aufenthaltstitel (bzw. ein Wechsel zwischen ebendiesen)  liegen. Des Weiteren liegen sozial- und arbeitsrechtliche Fragestellungen auf dem Tisch (vgl. Bornscheuer, Laetitia: Interview mit Christian Thönnes, Berater im Flachbau der Humboldt-Universität zu Berlin, RLC Journal (2019) 5). Die RLCs könnten somit eine Vermittlerrolle zwischen Mandant*in und Behörde einnehmen. Sollte erst einmal ein Einwanderungsgesetz da sein, wird auch hier eine Beratungsnachfrage entstehen. Dies zielt im Ergebnis, neben den weiterhin wichtigen asylrechtlichen Kenntnissen, auf Kenntnisse im Ausländer-, Sozial- und Arbeitsrecht ab.

Die Refugee Law Clinics sollten sich deshalb mit Blick auf zukünftige Herausforderungen als Migration Law Clinics verstehen, wenn sie das ohnehin nicht schon tun.

Zitiervorschlag:
Vollmehrhausen, Marcel: Wie kann (oder muss) Rechtsberatung für Geflüchtete aussehen?, RLC Journal (2019) 9.
<https://rlc-journal.org/2019/wie-kann-(oder-muss)-rechtsberatung-fur-gefluchtete-aussehen?/>.