Interview mit Christian Thönnes, Berater im Flachbau der Humboldt-Universität zu Berlin

Interviewerin: Warum hast Du Dich damals entschieden, die Ausbildung bei der RLC zu beginnen und wie bist Du auf die RLC aufmerksam geworden?

Christian Thönnes: Ich habe mit der Ausbildung im Wintersemester 2015/16 begonnen, da war ich im ersten Semester und, wenn ich mich richtig erinnere, waren Vertreterinnen der RLC in einer der Vorlesungen und haben Werbung für eine Infoveranstaltung gemacht. Da bin ich dann direkt hingegangen.

Die Entscheidung fiel vor dem Kontext des Sommers 2015 als das Thema der Schutzsuchenden extrem präsent war. In mir war schon im Laufe des Sommers das Bedürfnis gewachsen, mich irgendwie zu engagieren. Ich hatte aber oft erlebt, dass an vielen Stellen, bspw. in Flüchtlingsunterkünften, schon genug helfende Hände vorhanden waren, da sich gerade im Sommer 2015 viele Menschen schon ehrenamtlich engagiert haben. Deshalb wollte ich mich an einem Ort einbringen, an dem auch meine eigene Expertise zählt über die bloße Hilfsbereitschaft hinaus. Die Beratung der geflüchteten Personen in Rechtsfragen ließ sich gut mit dem Jurastudium verbinden.

Interviewerin: Dein Engagement fing also v.a. aus einem ideellen Gedanken heraus an und nicht aus einem rein juristischen Interesse?

Christian Thönnes: Als Erstsemester wusste ich eigentlich noch gar nicht richtig, was das Jurastudium bedeutet, sodass ich eigentlich aus einer rein ideellen Motivation heraus mit der Ausbildung begonnen habe.

Interviewerin: Was sind die typischen Aufgaben, Fragen und Probleme, mit denen Du Dich als Berater der RLC regelmäßig auseinandersetzen musst?

Christian Thönnes: Da gab es einen Wandel. Im Herbst 2016 habe ich mit der Beratung angefangen und damals gab es noch viele klassische Fragestellungen, auf die wir in der Vorlesung auch vorbereitet wurden wie bspw. die Vorbereitung der Anhörung vor dem BAMF oder Upgrade-Klagen, weil viele Syrerinnen und Syrer nur subsidiären Schutz bekamen, aber den Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention erhalten wollten.

Weil diese riesige Welle an Schutzsuchenden in den letzten Jahren abgeflacht ist, beziehen sich die Fragen nun mehr auf Thematiken, die sich im Leben eines Geflüchteten erst einige Zeit nach der Ankunft in Deutschland stellen und die damit nicht mehr im direkten Zusammenhang mit der Anerkennung als Flüchtling stehen. Das sind v.a. Fragen familien-, sozial- und arbeitsrechtlicher Natur, wie z.B. über Unterhaltszahlungen und die Familienzusammenführung. Es kommen auch immer mehr Menschen, die in keiner Verbindung zum Asylrecht stehen, sondern aus beruflichen Gründen nach Deutschland kommen und sich über die Möglichkeiten informieren, wie sie hier tätig werden können.

Interviewerin: Die Anforderungen an Euer Team sind mit der Zeit also gewachsen und Ihr müsst auch immer häufiger sehr speziellen Fragen nachgehen.

Christian Thönnes: Schätzungsweise 60% oder 70% der Fragestellungen können nicht mehr allein durch das Wissen aus der Vorlesung beantwortet werden. Die Fragen, die sich im Arbeitsrecht etc. stellen sind auch immer häufiger Fragen, die nicht mit dem Asylrecht verbunden sind.

Interviewerin: Und wie geht Euer Team damit um, wenn eine Frage kommt, mit der Ihr Euch zuvor noch nicht beschäftigt habt?

Christian Thönnes: Vieles lösen wir wirklich durch das Handwerk, das wir im Studium vermittelt bekommen und das macht auch großen Spaß. Wir nehmen das Gesetzbuch in die Hand, überlegen uns, wo dort die Antwort zu einer Frage geschrieben stehen könnte, legen den Gesetzestext aus und geben dann Vermutungen* ab, wie die rechtliche Situation ist. Manchmal können wir eine Frage aber auch nicht sofort beantworten und bitten eine Person, noch einmal wieder zu kommen, damit wir in Kommentaren Recherche betreiben können.

Interviewerin: Wie seid Ihr im Team als Berater und Beraterinnen organisiert?

Christian Thönnes: Unser Team berät an der HU im Flachbau. Es sind immer zwei von uns vor Ort sowie auch eine Dolmetscherin, die vom Arabischen ins Deutsche und zurück übersetzen kann.

Wir haben ein Dokument, in dem unsere Beratungsstunden aufgelistet sind und dann trägt sich jeder ein, ob er oder sie kann. Das passt dann meistens, ohne dass wir uns nochmal extra absprechen müssen. Es kommen alle zum Zug.

Interviewerin: Gab es Momente, in denen Du Dich emotional zu involviert gefühlt hast, weil du vielleicht dachtest, dass Du nicht oder nicht ausreichend helfen kannst oder ähnliches?

Christian Thönnes: Auf jeden Fall gibt es auch Momente, die emotional und menschlich herausfordernd sind. Allgemein versuche ich mich emotional nicht zu sehr zu verstricken. Ich versuche wirklich fachlicher Berater zu sein. Aber natürlich treffen wir auf Schicksale. Menschen, die fliehen, die sich eine wirtschaftliche Existenz in Deutschland aufbauen wollen und daran gehindert werden und Menschen, denen wir sagen müssen, dass ihre Aussichten schlecht stehen und sie wahrscheinlich in das Land zurückkehren müssen, wo die Autoritäten warten, die sie verfolgt haben. Es ist nicht leicht, das in angemessener Weise zu kommunizieren und darauf angemessen zu reagieren.

Und es gibt natürlich auch immer wieder Personen, die traumarisiert sind und extrem frustriert, von dem, was sie auch in Deutschland immer wieder erleben müssen bspw. von Behördenseite. Das muss in der Beratung beachtet werden und einkalkuliert und fordert uns immer wieder heraus.

Interviewerin: Begleitet Ihr als Berater und Beraterinnen der RLC manche Personen über einen längeren Zeitraum? Besonders dann ist es ja vielleicht auch schwierig, rein fachlich zu bleiben, weil Ihr einige Menschen über die Zeit auch wirklich kennenlernt.

Christian Thönnes: Ganz überwiegend kommen Menschen nur einmal oder zweimal in die Beratung. Es stellen sich manchmal Folgefragen, aber auch in diesen Fällen, treffen wir die Ratsuchenden höchstens dreimal. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir nicht in einer Unterkunft beraten, wo sich die Schutzsuchenden ständig aufhalten.

Interviewerin: Welche Tipps würdest Du Beratern und Beraterinnen mitgeben, die mit der Beratung gerade erst angefangen haben?

Christian Thönnes: V.a. die Bereitschaft, sich mit rechtlichen Fragen und zwischenmenschlichen Situationen auseinander zu setzen, auf die wir nicht vorbereitet wurden. Die Berater und Beraterinnen brauchen Vertrauen in sich selbst und müssen sich zutrauen, gerade Fragen zu lösen, deren Antwort sie nicht eins zu eins kennen. Es ist wichtig, mit offenem Herzen und Kopf an die Sache heranzugehen und dem Vertrauen, jede Situation mit Geduld und juristischem Verständnis lösen zu können. Die Ausbildung der RLC kann so gut sein wie sie will, es ist nicht möglich jeden Lebenssachverhalt abzubilden, mit denen die Berater und Beraterinnen konfrontiert werden.

Und es braucht auch v.a. Geduld mit sich selbst. Es bedarf einige Zeit bis die Persönlichkeit als Berater oder Beraterin ausgebildet ist und die Studierenden müssen für sich entscheiden, wie sie sich mit der eigenen Persönlichkeit am besten in den Beratungssituationen zurechtfinden.

Interviewerin: Würdest Du es befürworten, wenn Law Clinics irgendwann vielleicht auch fester Bestandteil der Ausbildung von Juristen und Juristinnen würden oder könnte dies dazu führen, dass die Law Clinics ihren Charakter als Initiativen von Studierenden verlieren würden und damit auch ein Stück an Freiheit?

Christian Thönnes: Ich finde es gut, wenn im Rahmen des Studiums Anreize geschaffen werden, an Law Clinics teilzunehmen. Durch Law Clinics können erste Erfahrungen in der Rechtsberatung gemacht werden. Ich denke aber nicht, dass es gut wäre, Law Clinics verpflichtend einzurichten. Diese Clinics leben von der freiwilligen Motivation, dem Engagement der Berater und Beraterinnen und das entspricht auch dem Selbstverständnis einer unabhängig beratenden Institution, die frei von einer externen Autorität besteht.

Interviewerin: Gibt es noch eigene Anmerkungen, die Du gerne loswerden möchtest?

Christian Thönnes: Geht zur RLC. Die RLC lebt von den neuen Generationen an Beratern und Beraterinnen und die Erfahrung ist auf jeden Fall bereichernd. Lasst euch ausbilden.

*Der Autor und Redaktion wollen klarstellen, dass „Vermutung“ in diesem Zusammenhang eine auf Erfahrungen basierende und vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung und gesetzlichen Entwicklungen abgegebene rechtlich unverbindliche Einschätzung der konkreten rechtlichen Lage ist.


Zitiervorschlag:
Bornscheuer, Laetitia: Interview mit Christian Thönnes, Berater im Flachbau der Humboldt-Universität zu Berlin, RLC Journal (2019) 5.
<https://rlc-journal.org/2019/interview-mit-christian-thonnes>