Wie die Anti-Menschenschmuggel-Gesetzgebung in Griechenland nichtstaatliche Akteure kriminalisiert und zu einer Untergrabung des Asylrechts führt
Einleitung
Während es im März 2022 in Europa eine erfreuliche Welle der Solidarität gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine gab, kommt es in Teilen von Europa gleichzeitig zu Verfahren, die ein sehr viel weniger freundliches Gesicht Europas gegenüber Geflüchteten und anderen Migrant*innen zeigen. So stehen beispielsweise Amir Zahiri (26) und Akif Razulu (25) in Lesbos vor Gericht. Ihnen droht eine fünfzigjährige Gefängnisstrafe, nachdem sie aus der Türkei nach Griechenland geflohen sind, um Asyl zu beantragen. Der Vorwurf gegen sie: Weil sie das Schlauchboot steuerten, hätten sie sich wegen Menschenschmuggels strafbar gemacht. Dieses Strafverfahren wird durch eine Reihe von Gesetzen ermöglicht, die die Erleichterung der illegalen Einreise von people on the move kriminalisieren.
Geschaffen wurden diese Gesetze als Reaktion auf das Narrativ krimineller Schleusernetzwerke, welche die Notlage der people on the move ausnutzen. Die Gesetze sollen dabei die Menschen, die die gefährlichen Routen nach Europa auf sich nehmen, vor genau diesen Netzwerken schützen. Und das ist auch notwendig. Denn die Folgen von Menschenschmuggel können für die Überlebenden gravierend sein. Dabei kann die Kriminalisierung von bestimmten Handlungen eine hilfreiche Maßnahme sein, um internationale Schmugglerringe zu bekämpfen. Dieser Artikel soll keinesfalls das Problem relativieren oder diejenigen, die aus der Notlage von anderen Menschen Profit schlagen, unterstützen.
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass auf der Grundlage dieser Gesetze auch Akteure verfolgt und sanktioniert werden, deren strafrechtliche Verfolgung nicht intendiert war (Commission Guidance on the implementation of EU rules on definition and prevention of the facilitation of unauthorised entry, transit and residence, S. 1). Das können Hilfsorganisationen in ihrer Arbeit mit people on the move sein. Oder es können die people one the move selbst sein, Menschen wie Amir Zahiri und Akif Razulu. In diesem Artikel möchten wir die Rechtsgrundlage dieser Verfahren genauer beleuchten und die Folgen der Kriminalisierung für die betroffenen Personen darstellen.
Die Rechtsgrundlagen
Die griechische Gesetzgebung zur Kriminalisierung der Beihilfe der illegalen Einreise nahm seinen Anfang im Jahr 1991 und wurde seitdem kontinuierlich verschärft (Stigmatisiert, kriminalisiert, inhaftiert. Der Kampf gegen vermeintliche Schleuser auf den griechischen Hotspot-Inseln (borderline-europe.de), S. 32). Eine große Rolle hat dabei die Richtlinie 2002/90/EG des Rates der Europäischen Union vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt gespielt (EUR-Lex 32002L0090 – DE (europa.eu)). Diese verpflichtet die Mitgliedstaaten in Art. 1 I (a) angemessene Sanktionen für Personen festzulegen, die Personen, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats sind, bei der illegalen Einreise unterstützen. Die darin erhaltene Beschreibung der zu sanktionierenden Personen ist jedoch problematisch. Die Schwachstelle der Definition besteht darin, dass sie, im Gegensatz zur bis dahin wegweisenden Definition des Migrantenschmuggels der Vereinten Nationen (vgl. Art. 3 Smuggling of Migrants Protocol English (unodc.org)) keine Bereicherungsabsicht als Motivation des Täters voraussetzt (The EU Facilitation Directive and the Criminalisation of Civil Society | Oxford Law Faculty). Dies führt dazu, dass die Richtlinie auch die Verfolgung von Menschen erlaubt, die people on the move bei der Einreise helfen, obwohl sie dafür keine Gegenleistung erhalten. Interessant ist dabei der Blick in Art. 1 I (b) der Richtlinie: Dieser regelt die Unterstützung des illegalen Aufenthalts in einem Mitgliedsstaat von Personen, die nicht Angehörige eines Mitgliedstaats sind. Hier wird aber ausdrücklich verlangt, dass die Person „zu Gewinnzwecken vorsätzlich“ handelt. Die Unterstützung des illegalen Aufenthalts wird also weniger streng behandelt.
Den Ersteller*innen der Richtlinie war dabei bewusst, dass diese Definitionen grundsätzlich auch die humanitäre Unterstützung von Geflüchteten und anderen Migrant*innen umfasst. Darum wurde in Art. 1 II der Richtlinie die Möglichkeit der Abweichung geschaffen. Die Mitgliedstaaten können sich dafür entscheiden, keine Sanktionen zu verhängen, wenn das Ziel der Handlungen die humanitäre Unterstützung der betroffenen Personen ist. In einem vom United Nations Office on Drugs and Crime (UNDOC) veröffentlichten Dokument wird in diesem Zusammenhang auf die Wichtigkeit des Merkmals des “finanziellen oder sonstigen Nutzen” eingegangen. Aus diesem Merkmal wird gefolgert, dass das „Smuggling of Migrants Protocol“ nicht die Verfolgung von Personen intendiert, die aus humanitären oder familiären Gründen handeln (Issue Paper The Profit Element in the Smuggling of Migrants ProtocolI, S. 14). Im Jahr 2020 hat die Europäische Kommission eine Leitlinie zur Umsetzung der genannten EU-Richtlinie veröffentlicht. Während das UNDOC-Dokument noch alle Akteure von der Definition ausschließt, die ohne Bereicherungsabsicht aus politischen oder sozialen Motiven handeln, greift der Leitfaden der Europäischen Kommission diesen Punkt zwar auf, beschränkt ihn aber nur auf humanitäre Unterstützung, die durch Gesetze vorgeschrieben ist (wie z.B. die Seenotrettung, vgl. Commission Guidance on the implementation of EU rules on definition and prevention of the facilitation of unauthorized entry, transit and residence, S. 3 und 7). Diese Abweichung des europäischen Leitfadens vom Verständnis der Vereinten Nationen (VN) macht einen großen Unterschied. Denn humanitäre Unterstützung wird nicht nur durch NGOs geleistet, sondern häufig auch durch Privatpersonen oder durch die betroffenen Personen selbst. Während sie nach dem Verständnis von UNDOC wohl ebenfalls privilegiert sind, ist die Lage auf europäischer Ebene schon deutlich komplizierter und unklarer.
Fest steht, dass diese unklare und vage Struktur der EU-Richtlinie (in Abweichung zur VN-Definition) den Mitgliedstaaten ermöglicht, nichtstaatliche Akteure weitreichend zu kriminalisieren (Hostile hospitality and the criminalization of civil society actors aiding border crossers in Greece – Laura Schack, Ashley Witcher, 2021 (sagepub.com)).
Inzwischen findet sich die griechische Rechtsgrundlage für die Strafbarkeit der Unterstützung der illegalen Einreise in den Art. 29 und 30 des Gesetzes 4251 aus dem Jahr 2014 (ΝΟΜΟΣ). Demnach können Personen, die die Einreise oder die Ausreise von Drittstaatsangehörigen nach Griechenland erleichtern, zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren oder einer Geldstrafe von mindestens 20.000 Euro verurteilt werden. Eine Bereicherungsabsicht ist grundsätzlich nicht erforderlich, sie kann allerdings als Qualifikation zu einer Strafschärfung führen.
Art. 30 enthält konkrete Regeln für die Kapitän*innen von Schiffen oder sonstige Fahrzeugführer*innen, die Drittstaatsangehörigen bei der Einreise helfen. Diese Unterstützung wird mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 10 Jahren oder einer Geldstrafe von 30.000 bis 60.000 Euro pro transportierte Person bestraft. Auch hier ist die Bereicherungsabsicht eine Qualifikation und eine solche Motivation im Umkehrschluss für den Regeltatbestand nicht notwendig.
Schlüsselwort für die Kriminalisierung von nichtstaatlichen Akteuren ist dabei das Wort “διευκολύνει” in Art. 29 Nr. 5 des Gesetzes 4251/2014. Dieses stammt vom griechischen Verb “διευκολύνω” ab. Im Deutschen wird dieses Wort mit “erleichtern” übersetzt. Strafbar ist damit nach Art. 29 Nr. 5 die “Erleichterung der illegalen Einreise”. Der Begriff „erleichtern“ ist so weit, dass er alle möglichen Handlungen umfassen könnte, vom Steuern eines Bootes mit people on the move (so dann auch in Art. 30 festgelegt), bis zur medizinischen Versorgung bei der Ankunft, der Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln, der Fahrt zu einem Krankenhaus, rechtlicher Beratung etc. Diese offene Formulierung bedeutet auch, dass jeder nichtstaatliche Akteur, der bei seiner Arbeit mit neu angekommenen Personen interagiert, potenziell kriminalisiert werden kann.
Griechenland hat im Gesetz 4251/2014 teilweise von der in der RL vorgesehenen Möglichkeit der Abweichung in den Fällen der humanitären Unterstützung Gebrauch gemacht. Allerdings beschränkt sich diese Abweichung auf die Seenotrettung und den Transport von Personen „in need of international protection as required by international law“ (Artikel 30 Nr. 6 4251/2014). In dem bereits erwähnten Leitfaden zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2002/90/EG ist die Europäische Kommission auch auf eine mögliche Kriminalisierung von humanitären Akteuren eingegangen und hat klargestellt, dass diese nicht durch die Richtlinie intendiert ist. Eine solche Kriminalisierung von gesetzlich mandatierten humanitären Aktivitäten kann und darf nicht auf der Grundlage dieser Richtlinie stattfinden (Commission Guidance on the implementation of EU rules on definition and prevention of the facilitation of unauthorised entry, transit and residence, S. 7 ff.). Eine Kriminalisierung von humanitären Akteuren ist also eigentlich nicht durch die Richtlinie intendiert. Trotzdem können humanitäre Akteure aktuell immer noch sanktioniert werden, insbesondere wenn die humanitären Aktivitäten nicht im Rahmen einer Seenotrettung stattfinden oder in sonstiger Weise durch ein Gesetz mandatiert sind. Außerdem ist es für die Akteure im Vorfeld schwer zu beurteilen, ob eine Person internationalen Schutz benötigt oder nicht (Issue Paper The Profit; Element in the Smuggling of Migrants Protocol, S. 36). Für die vom Menschenschmuggel selbst betroffenen people on the move gibt es bisher auch keine Ausnahme, selbst wenn sie ohne finanziellen Nutzen handeln oder nur Familienmitglieder unterstützen.
Bedeutung für die Arbeit der NGOs
Was genau bedeutet dies nun aber für die Arbeit der NGOs? Aufgrund der vagen Formulierung der Strafbarkeit besteht ein hohes Risiko, dass Verfahren gegen nichtstaatliche Akteure geführt werden, die in Verdacht geraten, die illegale Einreise erleichtert zu haben. So wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Verfahren gegen Mitarbeitende von verschiedenen NGOs angestrengt (Greece probes four migrant NGOs (euobserver.com), Held for facilitating illegal immirgration into Greece (Times of Malta), Greece: Life-Saving on Trial (hrw.org)).
Gespräche mit nichtstaatlichen Akteuren haben ergeben, dass die Angst vor Kriminalisierung und die unklare Lage dazu führen kann, dass die Organisationen sehr vorsichtig in der Ausführung ihrer Arbeit werden. Dies kann so weit gehen, dass die Unterstützung von neu ankommenden Personen durch NGOs – sei es auch durch lebenswichtige medizinische Versorgung oder die Versorgung mit Wasser und Nahrung – zeitweise nur in begrenztem Maße angeboten wird. Das wiederum wirkt sich negativ auf die Leben und die Menschenwürde der people on the move aus (Fit for purpose? „The Facilitation Directive and the criminalisation of humanitarian assistance to irregular migrants: 2018 update (europa.eu), S. 10). Personen, die nach einer lebensgefährlichen Überfahrt an Land ankommen, brauchen Zugang zu medizinischer Versorgung und Unterstützung, ansonsten kann dies schwere Folgen haben. So berichtet efsyn.gr von einer Frau, die nach ihrer Ankunft ihr Kind verloren hat, da sie nicht rechtzeitig medizinisch versorgt wurde (Γλίτωσε την επαναπροώθηση, έχασε το μωρό της | Η Εφημερίδα των Συντακτών (efsyn.gr)). NGOs füllen hier häufig eine Versorgungslücke. Wenn diese Organisationen aus Angst vor Kriminalisierung ihre Aufgaben teilweise nicht mehr vollumfänglich ausführen, kann dies für die häufig sehr vulnerablen neu ankommenden Menschen fatal sein.
Dies alles erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der sich häufenden Vorwürfe von Push-Backs problematisch (Griechenland benutzt Migranten für Pushbacks von Asylbewerber*innen | Human Rights Watch (hrw.org), Griechenland: Illegale Push-Backs von Menschen auf der Flucht (amnesty.ch), Griechenland: Die Flüchtlinge, die es nicht gab (tagesschau.de), UNHCR calls on Greece to investigate pushbacks at sea and land borders with Turkey (unhcr.org), Amnesty International Report 2021/22: The state of the world’s human rights (amnesty.org), S. 179). Wenn schon die bloße Anwesenheit von NGO-Mitarbeitenden bei der Ankunft von people on the move zu einer Kriminalisierung führen kann, hält dies einige NGOs davon ab mit den neu ankommenden Menschen bereits vor ihrer Registrierung als Asylsuchende in Kontakt zu treten und Hilfe anzubieten. Im schlimmsten Fall kann dies dazu führen, dass mögliche Push-Backs von NGOs nicht registriert werden, nicht über sie berichtet werden kann, geschweige denn, dass diese verhindert werden können.
Neben der präventiven Vorsicht in der Ausführung der Hilfsarbeit kann ein tatsächliches Verfahren die Arbeit der NGOs auch alleine deshalb beeinträchtigen, weil die Verteidigung gegen diese Vorwürfe viele Ressourcen bündelt, die für die eigentliche Hilfsarbeit erforderlich wären. Außerdem kann auch die Finanzierung einer NGO durch solche Vorwürfe und daraus resultierende Imageschäden gefährdet werden. Es kommt hinzu, dass dieses Gesetz nicht für sich alleine steht, sondern im Kontext von anderen Maßnahmen und Gesetzen in Griechenland zu sehen ist, die die Unterstützung von people on the move immer weiter sanktionieren und damit erschweren (Europe: Punishing compassion: Solidarity on trial in Fortress Europe – Amnesty International, S. 48 ff.).
Bedeutung für die Geflüchteten und Migrant*innen
Die Strafgesetze richten sich allerdings nicht nur an NGOs, sondern an alle nichtstaatlichen Akteure, die Migrant*innen bei der illegalen Einreise unterstützen, also auch an Privatpersonen. Während die Arbeit der NGOs durch die Gesetze und vor allem ihre Umsetzung sicherlich deutlich erschwert wird und dadurch die Hilfsangebote an people on the move geringer ausfallen, sind es in der Praxis vor allem die Migrant*innen selbst, die auf der Grundlage dieser Gesetze sanktioniert werden. Besonders häufig erfolgen die Anklagen und die Verurteilungen auf der Grundlage von Art. 30 des Gesetzes 4251/2014, wenn Migrant*innen das Boot selbst gesteuert haben (borderline europe – menschenrechte ohne grenzen e.v. (borderline-europe.de), About | Free the Samos Two, 20-02-04 Bericht von Prozessbeobachtung in Komotini, Nordgriechenland (borderline-europe.de)). Mangels Alternativen bei der Einreise treffen diese Gesetze die people on the move daher am härtesten (Incarcerating the Marginalized. The Fight Against Alleged ›Smugglers‹ on the Greek Hotspot Islands (bordermonitoring.eu), S. 10).
Die Strafverfolgung kann zu teilweise absurd hohen Strafen führen. So wurde im Mai 2021 ein Mann aus Somalia zu einer Freiheitsstrafe von 142 Jahren verurteilt, nachdem er das Ruder eines Bootes übernommen hatte, das in Seenot geraten war. Da trotz seiner Rettungsversuche zwei Menschen umkamen, nachdem das Boot kenterte, lagen strafschärfende Gründe vor (Art. 30 I c und d des Gesetzes 4251/2014), die zu dieser hohen Freiheitsstrafe führten (Greece: Survivor Sentenced to 146 Years Imprisonment Amid Deaths in Camps and at Borders | European Council on Refugees and Exiles (ECRE), borderline europe – menschenrechte ohne grenzen e.v. (borderline-europe.de)). Der eigentliche Schmuggler, ein türkischer Mann, hatte das Boot bereits früher verlassen (borderline europe – menschenrechte ohne grenzen e.v. (borderline-europe.de)).
Die Fahrer*innen der Boote sind also einem besonderen Risiko ausgesetzt, als Menschenschmuggler*innen angeklagt zu werden. Die Organisation Aegan Migrant Solidarity (AMS) hat verschiedene Personen, die wegen Menschenschmuggels angeklagt wurden, interviewt. Dabei haben sich drei Hauptgründe herausgestellt, weswegen diese Personen die Boote steuerten: 1. Armut, 2. eigene Flucht/Asylsuche und 3. Zwang oder Notwendigkeit (Incarcerating the Marginalized, The Fight Against Alleged ›Smugglers‹ on the Greek Hotspot, Islands (bordermonitoring.eu), S. 56 ff.). Die meisten Personen, die die Boote gesteuert haben, sind in einer finanziell schwierigen Situation. Teilweise steuern people on the move das Boot selbst, um die Fahrt für ihre Familie finanzieren zu können. In anderen Fällen wurden Personen zum Steuern des Bootes gezwungen. Der Zwang kann dabei durch die eigentlichen Schmuggler*innen mit Waffengewalt ausgehen. Teilweise waren Personen aber auch durch die Umstände gezwungen das Steuer zu übernehmen, da die eigentlich steuernde Person, wie im Fall des Mannes aus Somalia, das Boot frühzeitig verlassen hatte. Dadurch, dass das Gesetz 4251/2014 keine Bereicherungsabsicht fordert und auch keine Ausnahmen für people on the move vorsieht, die aus einer Notlage heraus das Steuern des Bootes übernehmen, trifft das Gesetz genau diese Menschen in seiner vollen Härte. Und das, obwohl gerade diese Menschen durch die Gesetze zum Kampf gegen Menschenschmuggel geschützt werden sollten.
Problematisch ist jedoch nicht nur, welche Personen in der Praxis am härtesten von dem Gesetz getroffen werden, sondern auch wie das Verfahren bei vermeintlichen Gesetzesverstößen geführt wird. Im Fall von Amir Zahiri und Akif Razulu wurde der Verhandlungstermin unter dem Vorwand der Abwesenheit eines Zeugen mehrfach verzögert. Für die beiden Männer bedeutete das, dass sie wieder in das Gefängnis zurückkehren und dort auf einen neuen Verhandlungstermin warten müssen (Cruel and unjustified postponement of Amir and Razuli appeal trial (CPT)). Auch andere Geflüchtete befanden sich trotz sehr dürftiger Beweislage und schlussendlichem Freispruch teilweise über ein Jahr in Untersuchungshaft (Freisprüche und Hoffnung für kriminalisierte Migrant:innen (migazin.de)). Wenn die Termine dann tatsächlich stattfinden, sind sie oft nur von kurzer Dauer. Borderline-Europe, bordermonitoring.eu und Aegean Migrant Solidarity berichten von extrem kurzen Gerichtsverhandlungen. Viele Verfahren dauerten ihren Erhebungen zufolge weniger als eine Stunde (The war against smuggling – Incarcerating the marginalized – Deportation Monitoring Aegean (bordermonitoring.eu), Stigmatisiert, kriminalisiert, inhaftiert. Der Kampf gegen vermeintliche ›Schleuser‹ auf den griechischen Hotspot-Inseln (borderline-europe.de), S. 86 ff.). In solch einer kurzen Zeit ist es kaum möglich, eine vollumfängliche Beweiswürdigung durchzuführen.
Auch die Beweisführung selbst weist Mängel auf, so etwa wenn es um das Vorliegen einer Bereicherungsabsicht geht. Diese ist, wie beschrieben, zwar keine Voraussetzung für eine Strafbarkeit, wirkt aber strafschärfend und kann somit für das Verfahren und das Strafmaß von großer Bedeutung sein. In der Vergangenheit wurde von UNDOC kritisiert, dass schon Indizien als Beweise akzeptiert wurden. So wurde der Besitz einer etwas größeren Menge von Geld bereits als Beweis für eine Bereicherungsabsicht des Beschuldigten akzeptiert (Issue Paper: The Profit Element in the Smuggling of Migrants Protocol, S. 37).
Sowohl die Kriminalisierung der NGOs als auch die Kriminalisierung der people on the move führen letztendlich dazu, dass die Asylantragstellung an den Außengrenzen der EU faktisch erschwert wird. Da die Möglichkeiten der legalen Einreise zur Antragstellung im Moment stark begrenzt sind, bleibt vielen Geflüchteten nur noch die illegale Einreise, um Schutz zu erhalten. Die Genfer Flüchtlingskonvention verbietet deswegen auch die Kriminalisierung der illegalen Einreise von Asylsuchenden (Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention). Aufgrund der genannten Strafgesetze kann zwar keine Kriminalisierung wegen der illegalen Einreise an sich erfolgen, jedoch aber wegen der Erleichterung der illegalen Einreise von dritten Personen. Gerade wenn dies auch Familienmitglieder umfasst und die Gerichtsverfahren die beschriebenen Defizite aufweisen, wird der Schutz von Asylsuchenden vor Kriminalisierung stark ausgehöhlt. Die Einreise wird damit für einen Teil der Geflüchteten durch die Hintertür doch wieder strafbar und das Recht auf Asyl wird damit für diese Personen unterlaufen.
Kriminalisierung von Migration
Wie beschrieben hat das Gesetz 4251/2014 erheblichen Einfluss auf nichtstaatliche Akteure in Griechenland. Diese nichtstaatlichen Akteure sind auf der einen Seite humanitäre Organisationen, die sich für people on the move einsetzen. Die wahren Leidtragenden sind aber die people on the move selbst. Das Risiko kriminalisiert zu werden, ist für sie besonders hoch. Häufig sind es Menschen, die aus finanziellen Gründen dazu gezwungen sind die Boote zu steuern, beispielsweise um die eigene Überfahrt bezahlen zu können. In solchen Fällen sind sie zu diesen Handlungen gezwungen, da es keine effektiven legalen Zugangswege aus humanitären Gründen in die EU gibt. Die Anti-Schmuggel-Politik auf der Grundlage des genannten Gesetzes trifft damit das letzte Glied in der Kette des Menschenschmuggels. Da die Menschen oft keine Informationen über die von ihnen eingegangenen Risiken haben oder die Risiken zwar kennen, aber keine wirkliche Alternative haben, haben die politischen Maßnahmen keinen Abschreckungseffekt und folgen nur einer sinnlosen Ideologie der Bestrafung (The war against Smuggling – Incarcerating the marginalized (DM Aegan Bordermonitoring.eu). Die “wirklichen” Menschenschmuggler*innen, die sich durch die Überfahrten bereichern, werden durch diese Verfahren kaum berührt. Stattdessen werden häufig auch Personen bestraft, die ohne Bereicherungsabsicht handeln und damit nicht unter die VN-Definition fallen. Die derzeitige Anwendung der Gesetze trifft dabei teilweise Personen, die aus humanitären Gründen handeln. In solchen Fällen ist die Sanktionierung von diesen Personen, die ohne ausreichende Berücksichtigung der mildernden Umstände in Verfahren mit den genannten Mängeln erfolgt, daher unverhältnismäßig.
Die Autorin und der Autor waren 2022 für verschiedene NGOs in Griechenland tätig. Dieser Artikel stellt nicht unbedingt die Meinung dieser Organisationen dar.