Die Bekämpfung der Schlepperei – Wichtiges Instrument für den Schutz der Flüchtenden oder Deckmantel der Flüchtlingsbekämpfung?

Wenn von Schlepper*innen berichtet wird, wird oft ein Bild von skrupellosen Ausbeuter*innen verbreitet, die lediglich auf Profit bedacht sind und die Flüchtenden Gefahren für Leib und Leben aussetzen. Schlepper*innen werden in Politik und Presse als „Abschaum“ bezeichnet und mit der Mafia verglichen. In den internationalen und nationalen Strafgesetzen wird hier kaum zwischen den Auswirkungen der unterschiedlichen Schleppereiformen auf die Flüchtenden unterschieden. Vielmehr wird jede Form gleichermaßen kriminalisiert. Im Folgenden soll hinterfragt werden, ob eine derart pauschale Betrachtung mit der Realität vereinbar ist und, ob dies auch tatsächlich dazu beitragen kann die Rechte der Migrant*innen auf den Fluchtwegen zu schützen. 

Seit es Ländergrenzen gibt, gibt es auch Menschen, die diese überwinden. Häufig passieren diese Menschen die Grenzen nicht allein, sondern ihnen wird durch andere Menschen geholfen. 

Dieser sogenannte Menschenschmuggel oder auch Schlepperei ist in den meisten Ländern strafbar (in Deutschland gemäß §§ 96, 97 AufenthaltsG). Nach dem Zusatzprotokoll Schlepperei zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität ist die Schlepperei als eine Straftat definiert, die die illegale Einreise einer Person in einen Staat gegen Geld oder andere materielle Gewinne herbeiführt, in dem diese Person weder die Staatsangehörigkeit noch ein Aufenthaltsrecht besitzt. Bestraft werden hier immer die Schlepper*innen, nicht die Migrant*innen. So sollen nicht die Flüchtenden für ihre meist ausweglose Lage bestraft werden, sondern diejenigen, die aus dieser Situation einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen. In Abgrenzung zu dem Menschenhandel, der ein Ausbeutungsverhältnis erfordert, handelt es sich bei der Schlepperei demnach um eine Dienstleistung im Sinne eines Gegenleistungsverhältnisses.

So wird bereits deutlich, dass Flüchtende die Hilfe von Schlepper*innen willentlich in Anspruch nehmen, um sonst meist unüberwindbare Grenzen zu kreuzen. Die Schlepperei wird als eines der lukrativsten kriminellen Geschäfte neben dem Menschen-, Waffen- und Drogenhandel bezeichnet und der organisierten Kriminalität zugeordnet. Dass die Schlepperei ein boomendes Geschäft ist, belegen auch die Statistiken. Danach nutzen allein auf den Weg nach Europa neun von zehn Flüchtenden einen Schlepperdienst. 

Einigkeit über die Strafbarkeit besteht bei Fällen, in denen eine Form eines Ausbeutungsverhältnisses auftritt. Wenn Flüchtende bewusst Gefahren ausgesetzt werden, oder sie zu Arbeiten oder Dienstleistungen gezwungen werden, kann ohne Frage ein Strafvorwurf gemacht werden. In diesen Fällen ist in Art. 6 Abs. 3 des Zusatzprotokolls eine Strafmaßerhöhung vorgesehen. Deutlich schwieriger ist aber die Begründung der Strafbarkeit solcher Fälle, in denen der Vorwurf sich auf die Missachtung von Einreiserichtlinien und Grenzkontrollen beschränkt. Hier prallen die bürokratischen und fiskalischen Interessen der Einreise- und Durchreisestaaten, mit denen der Flüchtenden aufeinander, sodass sich ein Dialog oft schwierig gestaltet. Denn die Zielstaaten haben oft kein Interesse an erhöhter Migration. Dabei wird oft eine mögliche Überbevölkerung, die Veränderung des Kulturgefüges oder die Destabilisierung des Sozialsystems eingewandt. Dies steht einem differenzierten Dialog über den Umgang mit der Schlepperkriminalität im Weg.

Gemäß Art. 2 ist Sinn und Zweck des Zusatzprotokolls „die Schlepperei von Migranten zu verhüten und zu bekämpfen sowie die diesbezügliche Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten zu fördern und dabei gleichzeitig die Rechte der geschleppten Migranten zu schützen“. Doch ist fraglich, ob es ausreicht Schlepper*innen zu kriminalisieren, um die Rechte der Migrant*innen zu schützen. 

Ein Beispiel für einen schwer abzugrenzenden Fall ist die Fluchtroute von Kolumbien nach Panama, die schlussendlich in die USA führen soll. Dieser Weg wird „Tapón del Darién“ (auf deutsch so viel wie „Stopf“ oder „Pfropf“ des Darién) genannt. Flüchtende aus Haiti, Venezuela, und Kolumbien, aber auch aus Indien, Nepal und vielen afrikanischen Staaten nehmen den langen und gefährlichen Weg auf sich. Sie alle haben den gemeinsamen Traum eines besseren Lebens in den USA. Dafür müssen sie den 100 km langen Tapón del Darién durchqueren, eine Strecke durch den Dschungel, der Kolumbien und Panama verbindet. Dieser ist auf kolumbianischer Seite von einem Drogenkartell kontrolliert. Auf der anderen Seite sind die Flüchtenden Angriffen von panamaischen Banden ausgesetzt, die sie ausrauben, bedrohen und vergewaltigen. Dazu kommen wilde Tiere, Moskitoschwärme, tropische Regenfälle und reißende Flüsse. Von den Gruppen, die ihre Reise durch den Dschungel im kolumbianischen Necoclí beginnen, kommen meist nur die Hälfte auf der panamaischen Seite an. Viele müssen abbrechen, andere überleben die Route nicht. Allein in den Monaten Januar bis Oktober 2021 starben 90 Flüchtende in dem Tapón del Darién. Trotz der großen Gefahren machten sich im Jahr 2021 rund 90.000 Personen in Hoffnung auf ein besseres Leben in den Vereinigten Staaten auf diesen Weg.

Dabei spielen Schlepper*innen, die sich angelehnt an den Namen der Route „Coyoten“ nennen, bei den Überlebenschancen der Flüchtenden eine große Rolle. Kann man sich Hilfe leisten dauert die Route nach Angaben der Schlepper*innen nur rund vier bis sieben Tage. Menschen, die den Weg ohne eine solche Unterstützung antraten, brauchten mehr als zehn Tage, da sie sich im dichten Dschungel und Nebel oft verirrten, oder erreichen nie ihr Ziel. Für die „Coyoten“ ist die Schleppertätigkeit eine Möglichkeit unbürokratisches Geld zu verdienen und auch sie entkommen so der Armutsgrenze. Letztendlich verhindern sie viele Todesfälle auf dem sonst kaum überwindbaren Weg durch den Tapón del Darién. Dazu kann ihnen kaum ein Vorwurf gemacht werden, sich in der angespannten ökonomischen Lage Kolumbiens eine Arbeit zu suchen, die sie vor der Armut bewahrt. 

Hieran wird deutlich, dass die Kriminalisierung der Schlepper*innen nicht pauschal eine Verbesserung der Rechte der Migrant*innen mit sich bringt. 

Die Polarisierung der Schlepper*innen in der Öffentlichkeit als Verbrecher*innen, die skrupellos und profitgierig agieren, passt wie dargestellt mit der Realität so pauschal nicht zusammen. Der Strafvorwurf, der bei vielen Schlepper*innen, wie auch in dem Tapon del Darién, verbleibt ist die Missachtung von Einreisegesetzen. Die Gefahren, welchen die Flüchtenden auf dieser Route ausgesetzt sind, entstammen aber dem Mangel an alternativen sicheren Fluchtrouten. 

Da die Schlepper*innen lediglich ein bereits bestehendes Fluchtsystem ausnutzen, muss also gefragt werden, ob dieses System durch deren Bekämpfung und Verfolgung tatsächlich beendet und so das Sterben auf den Fluchtrouten gestoppt werden kann. Oder es sich bei Schlepper*innen um eine Hydra handelt, die ewig bekämpft werden kann, der allerdings nach jedem Verlust eines ihrer vielen Köpfe ein neuer Kopf wächst. 

Denn es gibt nur eine Nachfrage nach Schlepper*innen, wenn es auch Flüchtende gibt, die sich auf gefährliche Fluchtrouten begeben müssen. So müsste der Fokus vielmehr auf den Bedingungen liegen, die das System der Schlepper*innen erst notwendig machen. 

Hier prallen die Interessen der verschiedenen involvierten Staaten aufeinander. Dabei ist zwischen dem Herkunftsland der Flüchtenden, den Durchreiseländern, dem Ankunftsland, der Nachbarländer und der internationalen Gemeinschaft zu unterscheiden.

Das Durchreiseland hat meist kein Interesse daran die Flüchtenden in ihrem Land zu halten. Aber auch, wenn sie die Fluchtrouten stärker kontrollieren und die Schlepperei unterbinden würden, würde dies zunächst nicht verhindern, dass die Flüchtenden weiterhin in das Land gelangen. Zudem stellt der Menschenschmuggel einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Neben dem Drogen- und Waffenhandel ist er der profitabelste Zweig der organisierten Kriminalität.

Auch die Zielstaaten haben kein Interesse mehr Migrant*innen in ihrem Land zu haben. So reagieren diese meist mit stärkeren Grenzkontrollen. Hier wenden Expert*innen jedoch ein, dass dies das Schleppereigeschäft nur noch weiter antreibt. Je schwieriger der Weg in das Zielland ist, desto eher suchen Flüchtende die Hilfe von Schlepper*innen. So auch der ehemalige Amnesty International Generalsekretär Salil Shetty: „Egal, wie hoch die Mauern sind oder wie gut die Küstenwache bewaffnet ist, Menschen, die nichts zu verlieren haben, werden einen Weg finden, um unerträglichen Situationen zu entkommen.“ Selbst hohe Kosten und Gefahren für Leib und Leben halten die Flüchtenden nicht auf, sich auf die Flucht zu begegnen. Dass sich Flüchtenden derartigen Gefahren aussetzen, ist nur auf die Fluchtursachen zurückzuführen. So kann Flucht und dessen System nie ohne die Fluchtursachen in den Ursprungsländern betrachtet werden. So wird sogar der Vorwurf erhoben, dass die rigorose Bekämpfung der Schlepperei lediglich ein Deckmantel für die Bekämpfung der Migration in das eigene Land ist. Denn die Praxis zeigt, dass die Schlepper*innen oft das einzige Mittel für Flüchtende sind, um tatsächlich in ihrem Zielland anzukommen. Denn obwohl oft angeführt wird, dass die Bekämpfung der Schlepperei eine gewisse Abschreckungswirkung für die Flüchtenden mit sich bringe, weil die Möglichkeiten sicher in ihrem Zielland anzukommen noch geringer seien, ist dies nicht überzeugend. Flüchtende, die bereit sind gefährliche Routen auf sich zu nehmen suchen nicht nach Luxus oder wollen lediglich ihre finanzielle Situation verbessern. Sie sind auf der Suche nach einem Leben unter menschenwürdigen Bedingungen, welches in ihren Heimatländern nicht möglich ist. Viele berichten, dass sie nichts mehr zu verlieren haben. Und so sind sie auch bereit den höchsten Preis zu zahlen: ihr eigenes Leben. 

Letztendlich kann festgehalten werden, dass eine Strafbarkeit der Schlepperei, soweit es zu Rechtsverletzungen der Flüchtenden kommt, notwendig und richtig ist. Derzeit wird jedoch zu wenig zwischen den tatsächlichen Auswirkungen für die Flüchtenden unterschieden. Denn wenn es lediglich zu Verletzungen der Einreisegesetzen kommt, ist es nicht ersichtlich, dass eine gleichwertige Kriminalisierung tatsächlich noch dem Zweck des Schutzes der Migrant*innen zugutekommt. Die Zielsetzung des Zusatzprotokolls, die Rechte der Migrant*innen zu schützen, kann nur effektiv angegangen werden, wenn die Bedingungen auf den Fluchtrouten verbessert werden und damit keine Notwendigkeit mehr besteht Schlepper*innen zu beauftragen und sich überhaupt auf gefährliche Wege zu begeben. 

Ohne die Fluchtursachen zu beheben, werden Migrationsströme nicht enden. Demnach ist es nicht ausreichend Schlepperorganisationen zu verfolgen. Vielmehr muss die Kontrolle der Staaten zurückerlangt werden und sichere Fluchtrouten geschaffen werden. So liegt die Kontrolle nicht mehr in den Händen der Schlepper*innen und die Rechte der Migrant*innen könnten besser geschützt werden. Auch erfordert dies einen differenzierteren Blick auf die Gesetzeslage wie das Zusatzprotokoll. Hier müssen die unterschiedlich starken Auswirkungen auf die Migrant*innen deutlicheren Einschlag finden, um nicht jede Form der Schlepperei in die Ecke der Schwerstkriminalität gestellt wird. Vielmehr sollte nach dem Sinn und Zweck des Protokolls nach den Rechtsverletzungen der schutzwürdigen Migrant*innen unterschieden werden. Dass ein erleichterter Zugang von Flüchtenden zu sicheren Ländern von vielen ebendieser Länder nicht gewollt ist, zeigt einmal mehr, dass das Problem der Schlepperei nicht losgelöst von der Flüchtlingspolitik und der Behandlung von Fluchtursachen behoben werden kann. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.