Die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung für subsidiär Schutzberechtigte aus Eritrea

Viele Geflüchtete aus Eritrea verfügen nicht über einen Pass oder Passersatz. Wollen eritreische Staatsangehörige konsularische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, müssen sie sowohl eine sog. Diaspora-Steuer an den Staat entrichten als auch eine sog. Reueerklärung unterschreiben. Im Rahmen der Passbeschaffungspflicht aus § 3 AufenthG stellen sich einige praxisrelevante rechtliche Fragen. Der folgende Beitrag widmet sich dem Kriterium der Unzumutbarkeit bei der Passbeschaffung für subsidiär Schutzberechtigte und nimmt dabei im Besonderen die Lage Geflüchteter aus Eritrea in den Blick.

Problemaufriss: Die Situation für Staatsangehörige Eritreas

Benötigen Geflüchtete Passpapiere, müssen sie sich an die Auslandsvertretungen ihres Heimatstaates wenden. Wird die eritreische Botschaft zu diesem Zweck aufgesucht, werden die Mitarbeiter*innen dem Gesuch nur entsprechen, wenn die betroffene Person eine sog. Diaspora-Steuer bzw. Aufbausteuer zahlt und eine Reueerklärung („letter of regret“) unterzeichnet. Die Diaspora-Steuer findet ihre Grundlage in der eritreischen Verfassung und legt fest, dass Staatsangehörige Eritreas eine Steuer in Höhe von 2 % ihres seit der Flucht bezogenen Einkommens an den Staat Eritrea abführen müssen (Proklamation Nr. 17/1991 und 67/1995; Tilburg University, The 2 % Tax for Eritreans in the diaspora, Juni 2017). Mit dem Formular „B4/4.2“, das die Reueerklärung enthält, hat die erklärende Person außerdem zu bestätigen, dass sie es bereue, eine Straftat begangen zu haben, indem sie ihrer nationalen Verpflichtung nicht nachgekommen ist, und dass sie bereit ist, die entsprechenden, gegebenenfalls verhängten Maßnahmen zu akzeptieren („that i regret having committed an offense by failing to fulfill my national obligation and that i am willing to accept the appropriate measures when decided“, aus dem Originalwortlaut ins Englische übersetzt in: Tilburg University aaO, S. 64; ähnlich UN Security Council, Letter dated 11 July 2012 concerning Somalia and Eritrea, Un-Doc. S/2012/545, S. 63). Die Erklärenden gestehen folglich ein, durch ihre Flucht straffällig geworden zu sein. Geflüchtete fühlen sich oftmals entgegen ihrer inneren Überzeugung gedrängt, eine derartige Erklärung abzugeben, um negative Folgen für ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik abzuwenden. Auch die Entrichtung der Diaspora-Steuer kann die Betroffenen vor große finanzielle Herausforderungen stellen.

Die Passpflicht aus § 3 AufenthG

In das Bundesgebiet dürfen Ausländer*innen generell nur einreisen, „wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz besitzen“. Diese sog. Passpflicht ergibt sich aus § 3 Abs. 1 AufenthG und ist Ausprägung der Personalhoheit des ausstellenden Staates (Winkelmann/Kolber, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 3 Rn. 2). Der Passpflicht inhärent ist die Verpflichtung, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um jederzeit im Besitz eines entsprechenden Dokuments zu sein (Winkelmann/Kolber, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 3 Rn. 11). Dazu gehören, wie sich § 56 AufenthV entnehmen lässt, z.B. die rechtzeitige Verlängerung oder Beantragung der Neuausstellung eines Passes. Viele Geflüchtete gelangen jedoch ohne entsprechende Papiere nach Deutschland und können die Passpflicht erst einmal nicht erfüllen. In diesem Fall müssen alle erforderlichen Handlungen unternommen werden, um einen Pass oder Passersatz ausgestellt zu bekommen.

Als Passersatz gelten neben dem Reiseausweis für Flüchtlinge nach Art. 28 GFK die in § 4 Abs. 1 AufenthV abschließend aufgezählten deutschen Passersatzpapiere. In der Praxis sind der Reiseausweis für Flüchtlinge, der wegen seiner Farbe auch als „blauer Pass“ bezeichnet wird, und der Reiseausweis für Ausländer, der sog. „graue Pass“, von besonderer Relevanz.

Passersatz und Ausweisersatz

Gemäß § 5 AufenthV kann ausländischen Personen, die nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzen, ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden, wenn sie Passdokumente nicht in zumutbarer Weise beschaffen können. Die Erteilung des Reiseausweises steht im Ermessen der Behörde (vgl. Ziff. 3.3.1.8 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009) und ermöglicht den Inhaber*innen die Reise ins Ausland. Der Reiseausweis für Ausländer gilt als Passersatz (s.o.).

Für Personen, die keinen Pass- oder Passersatz besitzen, kann die Passpflicht im Inland durch einen Ausweisersatz gem. § 48 Abs. 2 AufenthG erfüllt werden, vgl. § 3 Abs. 1 S. 2 AufenthG (Maor, in: BeckOK AuslR, 29. Ed. 1.4.2021, AufenthG § 3 Rn. 32). Mit dem Ausweisersatz kann ein*e Ausländer*in zwar die Passpflicht für den Aufenthalt im Bundegebiet, nicht aber für die Einreise erfüllen. Wie § 43 Abs. 3 AufenthG zu entnehmen ist, besteht die Pflicht zur Passbeschaffung weiterhin (OVG Bremen, Beschluss vom 19.12.2012 – 1 B 275/12).

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Passersatzes ergeben sich aus § 55 AufenthV. Demnach können ausländische Personen einen Ausweisersatz beantragen, wenn sie weder einen anerkannten und gültigen Pass bzw. Passersatz besitzen und dieses Dokument nicht in zumutbarer Weise erlangen können, sofern sie einen Aufenthaltstitel haben oder die Abschiebung ausgesetzt ist.

Für Antragsteller*innen, die von § 5 AufenthV oder § 48 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 55 AufenthV erfasst und ohne Passdokumente in die Bundesrepublik eingereist sind, wird den Kern der Prüfung regelmäßig das Kriterium der Unzumutbarkeit bilden. Den mit diesem Merkmal einhergehenden Problemen soll im Folgenden nachgegangen werden.

Generelle Unzumutbarkeit der Passbeschaffung

Für Asylberechtigte nach Art. 16a GG und anerkannte Flüchtlingen nach § 3 AsylG gilt § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, der zum Erlöschen der Asylberechtigung bzw. Flüchtlingseigenschaft führt, wenn die ausländische Person die Auslandsvertretung ihres Heimatstaates zur Annahme oder Erneuerung des Nationalpasses aufsucht. Für diese Gruppen besteht folglich keine Pflicht zur Passbeschaffung, sie ist gänzlich unzumutbar. Entsprechende Bemühungen führen vielmehr zum Erlöschen des rechtlichen Schutzstatus. Bereits der Wortlaut der Vorschrift verdeutlicht aber, dass Personen mit subsidiärem Schutz gerade nicht erfasst sein sollen. Die Rechtsprechung hat dies mehrfach bestätigt (vgl. nur HessVGH, B. v. 20.09.2019 – 3 D 2520/18; BayVGH, B. v. 17.10.2018 – 19 ZB 15.428).

Nichts anderes ergibt sich aus dem in diesem Kontext einschlägigen europäischen Recht. Art. 25 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU hält den Mitgliedstaat nur dann zum Ausstellen von Reisedokumenten für subsidiär Schutzberechtigte an, wenn diese keinen nationalen Pass erhalten können. Damit nimmt die Norm eine Binnendifferenzierung zu Abs. 1 vor, der dieses Kriterium für anerkannte Flüchtlinge gerade nicht vorsieht. Das Kriterium der Unzumutbarkeit findet hingegen auch im Rahmen dieser sog. Qualifikationsrichtlinie Anwendung (BayVGH aaO).

Eine Legaldefinition der Unzumutbarkeit enthält weder die europäische noch die deutsche Rechtsordnung. Beispielhaft lässt sich § 5 Abs. 2 AufenthV und § 60b Abs. 3 AufenthG entnehmen, was als zumutbar anzusehen ist. Die Kataloge sind nicht abschließend, was in dem Umstand begründet liegt, dass die Beurteilung der Unzumutbarkeit stets und in besonderem Maße vom Einzelfall abhängig ist (BT-Drucks. 18/9133). Bei einer Entscheidung, ob die Schwelle des Zumutbaren überschritten ist, müssen alle Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls berücksichtigt werden (BVerwG, Beschl. v. 15.6.2006 – 1 B 54/06). Die Darlegungslast darüber, dass alle zumutbaren Anstrengungen unternommen wurde, obliegt der betroffenen Person.

Unzumutbarkeit der Passbeschaffung für subsidiär Schutzberechtigte aus Eritrea

Ob die Passbeschaffung für subsidiär Schutzberechtigte unzumutbar ist, richtet sich, wie besprochen, stets nach den individuellen Umständen des Einzelfalls und sollte gegenüber der Ausländerbehörde sorgsam begründet werden. Grundsätzlich ist die Vorgehensweise der Behörden des Herkunftsstaates zu dulden. Die Unzumutbarkeit kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht (VG Hannover, Urteil vom 20.05.2020 – 12 A 2452/19, Rn. 24). Sind durch das Vorsprechen bei der Botschaft und die damit einhergehende Offenlegung der Flucht Gefährdungen Angehöriger im Herkunftsland zu erwarten, kann sich daraus eine Unzumutbarkeit ergeben (BayVGH aaO). Momentan gehen die deutschen Behörden davon aus, dass Verwandten von geflohenen eritreischen Staatsangehörigen keine Repressalien drohen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in Eritrea, 27.01.2020, S. 22).

Für Geflüchtete aus Eritrea könnten die Besonderheiten bei der Inanspruchnahme konsularischer Dienstleistungen eine Unzumutbarkeit der Passbeschaffung begründen. Dass die Zahlung der Diaspora-Steuer der antragstellenden Person unzumutbar sein könnte, wird immer wieder von Literatur und Rechtsprechung diskutiert (VG Hannover aaO, Rn. 32; Tilburg University aaO, S. 80). Die vom Herkunftsstaat für die behördlichen Maßnahmen erhobenen Steuern, Abgaben und Gebühren werden jedoch generell als zumutbar erachtet, wie auch § 5 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 und Nr. 4 AufenthV zu entnehmen ist. Die Diaspora-Steuer ist als eine derartige Gebühr bzw. staatsbürgerliche Pflicht zur Zahlung von Steuern oder Abgaben einzuordnen. Die Chancen, dass die Diaspora-Steuer die Passbeschaffung unzumutbar macht, sind folglich gering (Huber, Asylmagazin 2018, S. 7 (11), OVG Lüneburg, Urteil vom 18.03.2021 – 8 LB 97/20, Rn. 37 ff.).

Deutlich kontroverser ist die Debatte um die Abgabe der Reueerklärung. Nicht jede geflüchtete Person aus Eritrea wird aus freiem Willen bestätigen wollen, dass sie das Land freiwillig verlassen hat, dadurch straffällig wurde und sich den Regeln des Verfolgerstaates, der die betroffene Person gerade zur Flucht veranlasst hat, erneut unterwerfen will. Einige Gerichte, darunter das VG Hannover (aaO), sehen in der unfreiwilligen und wahrheitswidrigen Erklärung einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und gehen in diesen Fällen von einer Unzumutbarkeit aus (ähnlich Schleswig-Holsteinisches VG, Urteil vom 25.06.2021 – 11 A 38/20; VG Wiesbaden, Urteil vom 08.06.2020 – 4 K 2002/19.WI). Andere Teile der Rechtsprechung setzen sich diesen Entscheidungen entgegen und halten die Reueerklärung weiterhin für zumutbar (OVG Lüneburg aaO; BayVGH Beschluss vom 28.12.2020 – 10 ZB 20.2157). Die Gerichte ziehen die Ernsthaftigkeit der Erklärung in Zweifel und gehen davon aus, dass die mit der Unterzeichnung einhergehenden Vorteile, resp. konsularischen Dienstleistungen, die mit der Reueerklärung einhergehenden Belastungen überwiegen (OVG Lüneburg aaO, Rn. 58 ff.)

Wird die Passbeschaffung als zumutbar erachtet und kann die betroffene Person dennoch keinen Pass oder Passersatz vorlegen, sieht das Gesetz Sanktionen vor. Welche konkreten Folgen an die fehlende Mitwirkung geknüpft sind, richtet sich nach dem Aufenthaltsstatus. § 48 Abs. 4 S. 1 AufenthG gibt aber vor, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht von der fehlenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung abhängig gemacht werden darf (s. hierzu auch Becker/Saborowksi, Asylmagazin 2018, S. 16 (17 f.)).

Ergebnis

Für die Beratungspraxis kann aus diesem überblicksartigen Beitrag abgeleitet werden, dass stets ein erhöhter Begründungs- und Dokumentationsaufwand im Einzelfall betrieben werden sollte, wenn die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung geltend gemacht werden soll. Wie dargelegt wurde, ist die Rechtsprechung zum Thema stark einzelfallbezogen und sehr uneinheitlich. Gleiches gilt nach eigenen Erfahrungen für die Entscheidungspraxis der Behörden. Die Beurteilung der Unzumutbarkeit bewegt sich in dem Spannungsfeld zwischen der Personalhoheit des Heimatstaates und dem deutschem Rechtsrahmen und hat damit indirekte zwischenstaatliche Implikationen. Nicht unerwähnt bleiben sollte der Hinweis, dass die Thematik der Unzumutbarkeit für Menschen aus Eritrea auch im Rahmen des Familienzuzugs eine gewichtige Rolle spielt. Hierzu wird auf den Beitrag von Corinna Ujkašević im Asylmagazin 2020, S. 205-214, , sowie den Expert Report „Access to Documents by Eritrean Refugees in the Context of Family Reunification“ von Daniel Mekonnen und Sara Palacios Arapiles verwiesen.