Verfasst von Luisa Nabel, Hannah Franz, Anna Gleiser
Mitglieder der Abschiebehaftberatung Hamburg berichten anhand eines fiktiven Falls über ihre Erfahrungen aus der Beratung. Es handelt sich dabei um ein Kooperationsprojekt der Refugee Law Clinic der Universität Hamburg und der Law Clinic an der Bucerius Law School.
I ) Einführung
Der Vollzug der Abschiebehaft findet häufig abseits der politischen und gesellschaftlichen Debatte statt und steht selten im Fokus der Öffentlichkeit. Auch Refugee Law Clinics beschäftigen sich meist nicht mit diesem Randgebiet und beraten lediglich zum Asyl- und Aufenthaltsrecht.
Dabei sind Inhaftierungen bereits seit der Weimarer Republik schmerzhafte Realität für Geflüchtete: Die erste Abschiebehaftanstalt wurde in Ingolstadt zu Zeiten der Weimarer Republik vor über 100 Jahren eröffnet. Auch während des Nationalsozialismus wurden Abschiebehaftanstalten betrieben, die auf der Ausländerpolizeiverordnung von 1938 basierten. Diese wurde 1951 von der BRD unverändert übernommen. Nachdem die Ausländerpolizeiverordnung in den 60er Jahren durch das Ausländergesetz ersetzt wurde, kam es ab 1990 vermehrt zu Gesetzesänderungen; u.a. wurde die maximale Haftdauer auf 18 Monate erhöht, als Haftgrund der „begründete Verdacht, dass er [der Ausländer] sich der Abschiebung entziehen will“ eingeführt sowie die Möglichkeit auf Freilassung nach Stellung eines Asylantrags abgeschafft. Es folgten weitere Verschärfungen auf nationaler Ebene, Regulierungen durch die EU-Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) und Weiterentwicklungen, die maßgeblich durch BGH-Rechtsprechung vorangetrieben wurden.
Doch was bedeutet Abschiebehaft überhaupt? Anders als häufig angenommen, handelt es sich bei der Abschiebehaft nicht um eine Strafhaft, sondern um eine Form der Verwaltungshaft. Die Freiheitsentziehung dient ausschließlich dazu, die Abschiebung der Gefangenen zu vollziehen. Prozessual richtet sich die Abschiebehaft nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 415 ff. FamFG). Im Gegensatz zum Strafverfahren steht den Gefangenen kein:e Pflichtverteidiger:in zur Seite (vgl. § 140 StPO), obwohl der Bedarf an Rechtsberatung gerade bei Abschiebegefangenen besonders hoch ist: Geflüchtete beherrschen die deutsche Sprache häufig nicht (gut) und kennen sich in der deutschen Rechtsordnung nicht (genügend) aus. Dennoch haben nur wenige Inhaftierte Zugriff auf adäquaten Rechtsrat, da es schlicht nicht genügend Anwält:innen gibt, die sich mit der Materie auskennen (oder zu viele Inhaftierte), um eine umfassende rechtliche Betreuung aller Betroffenen zu gewährleisten. Darüber hinaus ist es den Betroffenen teilweise nicht möglich die Anwaltskosten zu bezahlen, zumal viele Anwält:innen einen Vorschuss verlangen, da die Gefahr der Abschiebung konkret besteht.
Statistisch gibt es in etwa jedem zweiten Fall Gründe, die Inhaftierung an sich oder die Haftbedingungen zu beanstanden, was eine inakzeptabel hohe Fehlerquote für einen Rechtsstaat ist. Dabei soll eine Freiheitsentziehung nur als „ultima ratio“ (vgl. Art. 8 IV, Art. 15 I EU-Rückführungsrichtlinie) herangezogen werden und unterliegt (eigentlich) strengen Vorschriften.
Die Beratung in diesem Rechtsbereich ist gerade für Studierende in Law Clinics interessant, denn sie können als sog. „Personen des Vertrauens“ (PdV) eigenständige Partei des Verfahrens werden. Darüber hinaus gehören auch emotionaler Beistand und die Kommunikation mit anderen Beratungsstellen zu den typischen Aufgaben der Beratenden. Da es nicht ausreichend Anwält:innen in diesem Rechtsgebiet gibt, ist das Engagement als PdV umso wichtiger.
Im Folgenden soll anhand eines fiktiven Fallbeispiels ein typischer Verfahrensablauf dargestellt werden, um weiteren Law Clinics aufzuzeigen, wie notwendig eine Beratung für Menschen in Abschiebehaft ist:
II) Beispielhafter fiktiver Sachverhalt:
A ist 2015 aus Ghana nach Deutschland gekommen. Nach seiner Ankunft hat er ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen, weil Ghana als sogenanntes sicheres Herkunftsland gilt. Auch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht hatte keinen Erfolg, sodass er seit 2019 ausreisepflichtig ist. A hat sich seitdem zwei Mal der Abschiebung entzogen.
1. Die Kontaktaufnahme:
An einem Dienstagmorgen erhalten wir einen Anruf von B, einem Freund des A. B ist aus Afghanistan geflohen und hat eine Aufenthaltserlaubnis. A und B leben gemeinsam in einer Wohngemeinschaft. B spricht recht gut Deutsch und hinterlässt uns eine kurze Nachricht auf dem Anrufbeantworter, in der er uns um Hilfe bittet. Scheinbar hat er vom Flüchtlingsrat einen Flyer mit unseren Kontaktdaten erhalten. Diese geben wir regelmäßig an Beratungsstellen für Menschen mit Fluchtgeschichte aus.
„Teilweise erhalten wir auch Anrufe in uns fremden Sprachen. Dann müssen wir zunächst versuchen herauszuhören, um welche Sprache es sich handelt, bevor wir einen Dolmetscher bitten können, die Nachricht für uns zu übersetzen.“ – Zitat von Elisabeth (Beraterin)
Um unsere Arbeit zu koordinieren, bilden wir Teams, die dann den aktuellen Fall übernehmen. Die Nachricht des B wird also an das zuständige Team weitergeleitet, das umgehend Kontakt aufnimmt. B erzählt, er habe abends gemerkt, dass A nicht nach Hause gekommen sei. Zunächst habe er sich nichts dabei gedacht, sich dann aber an die vorangegangenen Behördenschreiben bzgl. der drohenden Abschiebung erinnert. Aus diesem Grund vermute er, dass A in Abschiebehaft genommen worden sei. B kann A leider telefonisch nicht erreichen, sodass er keine sichere Kenntnis von seinem Aufenthaltsort hat.
Infokasten: Sinn und Zweck der Person des Vertrauens, Art. 104 IV GG
Nicht alle Betroffenen haben das Glück, dass ihre Inhaftierung so schnell bemerkt wird und von außen entsprechende Unterstützung organisiert werden kann. So passiert es durchaus, dass Personen, die in Deutschland nicht gut angebunden und/oder vernetzt sind, einfach verschwinden. Gem. Art. 104 IV GG hat der oder die Festgenommene zwar ein Recht darauf, dass seine oder ihre Angehörigen oder eine Person des Vertrauens über die Festnahme unverzüglich benachrichtigt wird. Doch viele betroffene geflüchtete Personen haben keine Angehörigen i.S.d. § 52 I StPO in Deutschland und über das Konzept der Person des Vertrauens wissen nur wenige Bescheid. Bemerkenswert ist dabei, dass der Sinn und Zweck des Art. 104 IV GG insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte darin liegt, das „Verschwindenlassen“ innerhalb eines totalitären staatlichen Machtapparats zu verhindern (BeckOK GG/Radtke, 47. Ed. 15.5.2021, GG Art. 104 Rn. 17-19).
2. Benennung als PdV
Wir kontaktieren daraufhin die Rückführungseinrichtung am Hamburger Flughafen und erkundigen uns, ob A sich dort in Gewahrsam befindet. Zunächst wird uns am Telefon jede Aussage verweigert, mit der Begründung, eine solche Information könne aus Datenschutzgründen nicht herausgegeben werden. Um weitere Komplikationen zu vermeiden, wählen wir nun einen anderen Weg: Wir schicken eine E-Mail mit angehängtem Formular zur Benennung als „Person des Vertrauens“ an die Rückführungseinrichtung mit der Bitte, dieses Schreiben an A zur Unterzeichnung auszuhändigen und anschließend an uns zurückzusenden. Auch hier wissen wir vorab nicht, ob wir Erfolg haben werden, denn unserer Erfahrung nach hängt der weitere Verlauf auch davon ab, welches Personal im Dienst ist. Keine Stunde später erhalten wir den unterschriebenen Antrag zurück.
Infokasten: Was ist eigentlich die „Person des Vertrauens“?
Eine Person des Vertrauens (PdV) i.S.d. Art. 104 IV GG und § 432 FamFG ist eine Person, zu der die oder der Inhaftierte ein Vertrauensverhältnis hat und welche für ihn oder sie den Kontakt zur Außenwelt herstellt. Dieses Vertrauensverhältnis muss nicht schon vor Haftantritt bestanden haben, sondern kann auch erst durch die Beratungen während der Haft entstehen (BGH, Beschluss vom 19.5.2020 – XIII ZB 82/19). Sie ist gem. Art. 104 IV GG und § 432 FamFG von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung unverzüglich zu benachrichtigen.
Die Person des Vertrauens kann den oder die Betroffene:n zu Anhörungen begleiten, im eigenen Namen Haftaufhebungsanträge stellen und Akteneinsicht nehmen, um so gut wie möglich sicherzustellen, dass das Verfahren fehlerfrei abläuft. Eine juristische Ausbildung ist keine Voraussetzung dafür, die Funktion der Person des Vertrauens zu übernehmen, juristische Kenntnisse erweisen sich aber in der Praxis als enorm hilfreich.
3. Besuch in der Rückführungseinrichtung
Unser nächster Schritt ist es, den Betroffenen A in der Rückführungseinrichtung zu besuchen.
Bei Bedarf werden wir durch eine:n Dolmetscher:in begleitet, um mögliche Sprachbarrieren mit den Betroffenen zu umgehen und diesen das Gefühl der Vertrautheit zu geben. Auch hier sind wir auf das Wohlwollen der Mitarbeitenden in der Rückführungseinrichtung angewiesen; manche Wachleute lassen nur zertifizierte Übersetzer:innen zu. Da A sehr gut Englisch spricht, ist ein:e Dolmetscher:in hier glücklicherweise nicht notwendig.
Die Hausordnung der Rückführungseinrichtung besagt, dass Inhaftierte maximal zwei Besucher pro Tag für höchstens eine Stunde in den angegebenen Besuchszeiten empfangen dürfen. Ausgenommen hiervon ist die Kernfamilie, die gemeinsam zum Besuch in die Einrichtung darf. Der Besuch kann allerdings abgebrochen, eingeschränkt oder untersagt werden, wenn die Sicherheit und Ordnung der Einrichtung gefährdet ist.
Gem. § 6 II HmbAHaftVollzG können Angehörige einer anerkannten Flüchtlingshilfsorganisation auch ohne zeitliche Begrenzung außerhalb der Besuchszeiten die Inhaftierten besuchen. Die Rechte des A sind hier also durch das HmbAHaftVollG gestärkt; allerdings gibt es ein solches Gesetz leider nicht in allen Bundesländern. Die Haftbedingungen und damit inhärent auch die Rechte der Inhaftierten werden dann lediglich durch eine Hausordnung der jeweiligen Haftanstalt geregelt.
Ob wir als ganze Beratungsgruppe in die Rückführungseinrichtung dürfen oder nur eine Person, hängt auch hier erneut vom Personal vor Ort ab. Aufgrund der Pandemie wurden die Besuchsregeln im vergangenen Jahr häufig eingeschränkt. Bei der telefonischen Voranmeldung wird uns mitgeteilt, dass nur eine Person die Einrichtung betreten darf. Da in der Vergangenheit andere Zweiergruppen nach dem Vorzeigen eines negativen Coronatests gemeinsam mit dem Ratsuchenden sprechen durfte, beschließen wir, dennoch zusammen hinzufahren und unser Glück zu versuchen. Die Mitarbeitenden lassen sich allerdings nicht umstimmen. Ich gehe daher alleine mit den Sicherheitskräften mit, die mich vom Eingang abholen. In einem separaten Raum werde ich von einer Mitarbeiterin gebeten, Schuhe, Jacke und Pullover auszuziehen. Danach werde ich gründlich abgetastet. Ich muss meinen Rucksack inkl. Handy und Jacke in einen Spind sperren, lediglich Stift und Papier darf ich diesmal mitnehmen. Das haben wir auch schon anders erlebt. Meinen Ausweis muss ich ebenfalls abgeben. Mir wird gesagt, dass die Einrichtung eine Kopie davon für ihre Unterlagen braucht und ich ihn nach meinem Gespräch mit A wieder ausgehändigt bekomme.
„Die Voraussetzungen, unter denen wir einen Besuch in der Hafteinrichtung durchführen dürfen, variieren stark. Je nach diensthabendem Personal dürfen wir Handy, Laptop, Stift und Papier mitnehmen oder eben auch nicht. Auch die Besuchszeiten und -regeln scheinen seit Beginn der Pandemie ständig zu wechseln. Teilweise ist pro Monat insgesamt nur 2 Stunden Besuch erlaubt; manchmal unbegrenzt. Mal wird unser Gespräch nach einer Stunde abgebrochen, mal dürfen wir länger bleiben. Vor dem jeweiligen Besuch wissen wir leider nie, auf was wir uns einstellen können.“ Zitat von Hannah (Beraterin)
Nachdem ich mehrere abgeriegelte Türen passiert habe, werde ich in einen Raum geführt. Kurz darauf kommt auch A dazu.