Vom Recht auf Asyl zum Visum für Arbeit: Entwicklung der deutschen Migrationspolitik gegenüber den Staaten des Westlichen Balkans

Mit der Erklärung zu sicheren Herkunftsstaaten fand ein Paradigmenwechsel der deutschen Politik gegenüber den Westbalkan-Staaten statt: Das Recht auf Asyl wurde durch die Erklärung zu „sicheren“ Herkunftsstaaten ausgehebelt, die Visumsvergabe über den Arbeitsmarkt wurde durch die „Westbalkan-Regelung“ erleichtert. Doch welche Einbußen fordert dieser Umschwung? Und wie hat sich das System in der Umsetzung bewährt? 

Dieser Artikel erscheint in zwei Teilen. Im ersten Teil wird die Entwicklung der deutschen Migrationspolitik im westlichen Balkan dargestellt und analysiert. Im zweiten Teil werden die Umsetzung und die Folgen der „Westbalkan-Regelung“ kritisch untersucht; zudem wird eine Bilanz gezogen und ein Ausblick gegeben. 

Die Westbalkan-Staaten sind ständiger Diskussionsgegenstand in der deutschen und europäischen Migrationspolitik. Vor dem Jahr 2015 stellten Staatsangehörige aus den dazugehörigen Ländern (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien sowie bis zum EU-Beitritt im Jahr 2013 auch Kroatien) einen wesentlichen Teil der deutschen Asylbewerber*innen. 

Dies änderte sich mit dem Asylkompromiss von 2015 (sog. Asylpaket I). Hier beschloss die damalige Bundesregierung, alle Westbalkan-Staaten zu “sicheren Herkunftsstaaten” zu erklären. Dies hatte zur Folge, dass die Asylverfahren für Menschen aus der Region kaum mehr Aussicht auf Erfolg hatten. Zudem wurden zügige Abschiebungen ermöglicht. Gleichzeitig strebte die Bundesregierung einen Wandel der Migrationsbewegung aus der Region an. Die sog. “Westbalkan-Regelung” (§ 26 Abs. 2 BeschV) sollte eine vereinfachte, legale Arbeitsmigration ermöglichen und einen neuen Impuls für Menschen aus der Region setzen. 

Dieser Beitrag hat zum Ziel, die politischen Hintergründe und die rechtliche Umsetzung des Politikwandels bezüglich der Regulierung der Migrationsbewegung aus den Staaten des West-Balkans zu skizzieren und insbesondere nach der jüngsten Verlängerung der „Westbalkan-Regelung“ bis zum Jahr 2023 eine kritische Bilanz zu ziehen.

Der Rückgang humanitärer Migrationsmöglichkeiten – ein Paradigmenwechsel mit Kalkül

Gemäß Art. 16a Abs. 3 GG können Staaten durch ein Bundesgesetz als „sicher“ eingestuft werden, wenn gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche, erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Mit der Einstufung wird die Vermutung aufgestellt, dass ein*e Ausländer*in nicht schutzberechtigt ist, wenn er oder sie aus diesem Staat nach Deutschland flüchtet. Aus § 29a AsylG folgt, dass Asylanträge regelmäßig als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden können, es sei denn, es liegen klare Tatsachen und Beweismittel für eine politische Verfolgung oder ähnliche Umstände vor. 

Der Gesetzgeber hat somit hier die Möglichkeit, das Asylverfahren für Menschen aus bestimmten Staaten erheblich zu erschweren und die gründliche Bearbeitung dieser Asylanträge auszuhebeln. 

In der migrationsrechtlichen Debatte wird die Regelung zur Einstufung von „sicheren“ Herkunftsstaaten kritisiert. Menschenrechtsorganisationen ordnen sie als ein politisches Instrument der Abschreckungspolitik ein, welches Menschen aus den jeweiligen Ländern klar machen soll, dass sie keine Chance auf Schutz in Deutschland haben werden. Neben diesem politisch verwerflichen Motiv sind zudem die aufenthaltsrechtlichen Folgen für die Asylsuchenden in Deutschland fatal: Sie unterliegen einer unbefristeten Wohnverpflichtung in Erstaufnahmeeinrichtungen, einem dauerhaften Erwerbstätigkeitsverbot, erhalten Sozialleistungen primär als Sachleistungen und sind von Integrations- und Sprachkursen ausgeschlossen. Dies weckt Zweifel hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit. Zudem wird durch die pauschale Einschränkung des Prüfungsumfangs das Prinzip der Einzelfallprüfung und das Recht auf Asyl als Individualrecht unterwandert.

Neben diesen allgemeinen Bedenken stellt sich die Frage, ob die Westbalkan-Staaten tatsächlich sichere Herkunftsstaaten i.S.d. Art. 16a Abs. 3 GG sind. 

Menschen aus der Bevölkerungsgruppe der Roma stellen nach wie vor einen Großteil der Asylanträge aus Westbalkan-Staaten in Deutschland. Fast alle Anträge werden abgelehnt und die Rom*nja zügig abgeschoben. Viele von ihnen kommen aus Serbien. Dort sind sie zwar als Minderheit anerkannt, werden aber auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen diskriminiert: Ihnen wird der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert, weniger als die Hälfte der Kinder schließt die Schule ab und viele von ihnen sind nicht im Besitz von gültigen Ausweisdokumenten. Auch anderswo werden Minderheiten werden im Westbalkan diskriminiert: In Bosnien und Herzegowina etwa hat der EGMR schon mehrmals festgestellt, dass die bosnische Verfassung Rechte von Jüd*innen, Rom*nja und anderen Minderheiten verletzt, indem sie ihnen das Recht nimmt, sich für ein öffentliches Amt zu bewerben. Auch wenn derartige Formen der Diskriminierung womöglich nicht allgemein an eine politische Verfolgung i.S.d. Art. 16a Abs. 3 GG heranreichen, da keine Gefahrenprognose aufgrund von Verfolgungen für Betroffene i.S.d. § 3 AslyG gestellt werden kann, ist die Einstufung der Westbalkan-Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ unsensibel: Die Umstände, unter denen insbesondere die Rom*nja im Westbalkan leben müssen, lässt sie derartig verzweifeln, dass sie häufig kurz nach der Abschiebung erneut nach Deutschland reisen, obwohl ein Asylfolgeantrag hoffnungslos ist. Deutschland müsste hier differenzierter und genauer prüfen, wer schutzberechtigt ist. 

Ein weiterer Faktor, der an der Sicherheit des Westbalkans zweifeln lässt, sind die Folgen der Jugoslawien-Kriege (1991 – 2001). Zwar herrscht mittlerweile völkerrechtlich betrachtet Frieden in der Region; dennoch sind bis heute politische Instabilitäten und ethnische Spannungen spürbar. So wird beispielsweise die Existenzberechtigung des Staates Bosnien und Herzegowina von staatlichen Stellen in Teilen des eigenen Landes angezweifelt. Die nationalistisch orientierten Parteien haben politisch den größten Einfluss und verbreiten verschiedene Hassbotschaften in der Bevölkerung.

In Serbien wird von einer Mehrheit der Bürger*innen der Völkermord in Srebrenica geleugnet. Verurteilte Völkerstraftäter werden häufig als Helden verehrt, was zu einer mangelnden Aufarbeitung des recht kurz zurückliegenden Krieges führt. Im Kosovo äußern sich immer wieder die Spannungen zwischen der albanischstämmigen Mehrheitsbevölkerung und der serbischen Minderheit rund um die bis heute ungelöste Frage nach der Unabhängigkeit dieses Staates.

Aufgrund all dieser Umstände lässt sich feststellen, dass zwar eine politische Verfolgung oder konkrete Bedrohung für das Leben meistens nicht vorliegen wird. Ob die Diskriminierung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen jedoch zu erniedrigenden Behandlungen i.S.d. Art. 16a Abs. 3 GG führen kann, sollte zumindest diskutiert werden. Die skizzierte Instabilität in der Region spricht zumindest dagegen, Asylanträge derartig drastisch zu erschweren. Für eine genauere Analyse der Sicherheit in den Westbalkan-Staaten sei an dieser Stelle auf den Beitrag von Elmedin Sopa verwiesen.

Die Liberalisierung der Arbeitsmarktmigration aus dem westlichen Balkan 

Zeitgleich mit der faktischen Schließung des asylrechtlichen Migrationskanals durch die Einordnung aller West-Balkan Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ ist im Jahr 2015 mit der Einführung der befristeten „Westbalkan-Regelung“ (nunmehr verlängert bis zum Jahr 2023) der Weg der Arbeitsmarktmigration für Menschen aus den Staaten der Region erleichtert worden. Konkret wurde mit § 26 Abs. 2 BeschV eine Spezialregelung geschaffen, durch die der ansonsten im AufenthG geltende Grundsatz gelockert wird, dass die Zuwanderungswege in den deutschen Arbeitsmarkt primär an qualifizierte Fachkräfte adressiert sind (so nunmehr auch erkennbar in § 18 I AufenthG). Speziell für Menschen aus den sechs Staaten der „West-Balkan-Region“ wurde hiervon abweichend durch § 26 Abs.2 BeschV eine qualifikationsunabhängige Einwanderungsmöglichkeit in den deutschen Arbeitsmarkt geschaffen, die nur noch vom Vorliegen eines konkreten Arbeitsplatzangebotes und einer sogenannten Vorrangprüfung durch die Bundesagentur für Arbeit abhängig ist. Die Bundesagentur kann die Zustimmung zu der Beschäftigung und damit letztlich zur Visaerteilung verweigern, wenn bevorrechtigte Personen (Deutsche, EU-Bürger*innen oder Personen, die eine Niederlassungs- bzw. Aufenthaltserlaubnis haben) für die konkrete Arbeitsstelle auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Damit wird dem Prinzip der nachfrageorientierten Arbeitsmarktmigration Rechnung getragen. Es soll also (unabhängig von persönlichen Hintergründen und der Integrationsperspektive der Zuwanderer*innen) grundsätzlich nur so viel Zuwanderung ermöglicht werden, wie wirtschaftspolitisch notwendig ist. 

Dieser Grundsatz ist kennzeichnend für das deutsche Erwerbsmigrationsrecht. Dogmatisch betrachtet steht er in Kontrast zu solchen Systemen, in denen die Arbeitsmarktmigration auf dem Ansatz des Humankapitals basiert, also „auf Vorrat“ zum Zwecke der Erhöhung des Angebots an Arbeitskräften erfolgen kann, und welche etwa durch Prognosen des Integrationspotentials der Bewerber*innen mittels eines Punktesystems gesteuert werden (Zur konzeptionellen Einordnung des deutschen Einwanderungsregimes: Langenfeld/Lehner, ZAR 2020, 215 (218)). Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Einwanderungsmöglichkeit über  die West-Balkan Regelung des § 26 Abs. 2 BeschV nur für Menschen in unqualifizierten Berufen gilt (z.B. Hilfsarbeiter*innen, Fahrer*innen etc.) oder bei Vorliegen einer entsprechenden Arbeitsplatzzusage auch qualifizierte Ausbildungsberufe ohne eine Prüfung der gleichwertigen Qualifikation ergriffen werden können (für die engere Auslegung in ersterem Sinne etwa ein Urteil des VG Berlin). Im Ergebnis handelt es sich bei der „Westbalkan-Regelung“ also um eine am wirtschaftlichen Bedarf der Bundesrepublik orientierte Arbeitsmarktliberalisierung für unqualifizierte Berufsbewerber*innen aus den Staaten des westlichen-Balkans.  

Für qualifizierte Berufe wurden im Jahr 2020 mit dem Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für alle Drittstaatler*innen die Einwanderungsmöglichkeiten erleichtert, indem etwa zeitlich begrenzt auch unabhängig von konkret vorliegenden Angeboten die Einreise zur Suche eines qualifizierenden Ausbildungsplatzes (§ 17 I AufenthG) oder zur Durchführung einer Weiterqualifikation (§ 16d AufenthG) ermöglicht wird. Gleichwohl bleibt es jedoch auch hier bei dem Grundsatz der Bindung der Zuwanderungsmöglichkeiten an die berufsqualifizierenden Maßnahmen oder einen konkreten Job. Sowohl für die Migration in qualifizierte Berufe auf dem deutschen Arbeitsmarkt, als auch für diejenige in unqualifizierte Berufe im Sinne der „West-Balkan Regelung“ sind die Zuwanderungsoptionen dabei aber nur punktuell humankapitalbasiert und bleiben im Grundsatz stets an der wirtschaftlichen Nachfrage auf dem deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarkt orientiert (Langenfeld/Lehner, ZAR 2020, 215).  

Tausche „Arbeit gegen Asyl“ – Hintergründe und Auswirkungen des Regimewechsels

Die Entscheidung zur Einführung der West-Balkan Regelung und der Einstufung der Staaten in der Region als sichere Herkunftsstaaten war im Jahr 2015 weniger als strategische Neukonzeption des Erwerbsmigrationsrechts geplant, sondern stellte  vielmehr  einen politischen Kompromiss dar, durch den einige der „asylfreundlicheren“ Landesregierungen zur notwendigen Bundesratszustimmung für die Einstufung der West-Balkan Staaten als „sichere Herkunftsstaaten“ bewegt werden sollten (Langenfeld/Lehner, ZAR 2020, 215 (222)). Es handelte sich also letztlich um ein „migrationspolitisches Experiment“ eines Tausches „Arbeit gegen Asyl“ in Bezug auf eine spezifische Region. Das politische Hintergrundmotiv für diesen bewussten Wechsel des Rechtsregimes ist vor allem, dass sich die arbeitsmarktbezogenen Migrationswellen im Verhältnis zum international und menschenrechtlich überformten Asylrecht besser steuern lassen und insbesondere durch die Abwicklung der Visa-Antragstellung in den Herkunftsstaaten der „Asyldruck“ auf das Bundesgebiet verringert werden soll (BR-Drs. 447/15, S.11).  Allein aus Serbien hatte sich in den Jahren zuvor etwa die Anzahl der Asylantragsteller*innen verzwanzigfacht (Alscher/Obergfell/Roos, Migrationsprofil Westbalkan – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015, S.5). 

Bei Betrachtung der Statistiken scheint sich diese politische Prämisse hinter der West-Balkan Regelung bewahrheitet zu haben. Während seit dem Asylkompromiss 2015 ein deutlicher Rückgang der Asylanträge aus der Region verzeichnet werden konnte, sind die neuen Zugangswege zum deutschen Arbeitsmarkt von Bürger*innen des West-Balkans massenhaft angenommen worden. So betrug der Anteil der Menschen aus der Region, die im Rahmen der Erwerbsmigration in Deutschland eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen haben, laut dem jüngsten Monitoring-Bericht des BAMF im Berichtszeitraum von März bis Dezember 2020 insgesamt über 33% aller bewilligten Anträge. 

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