Ein historischer Abriss und die Beschreibung der aktuellen Entwicklungen
Am 01.02.2021 kam es zu einem Militärputsch in Myanmar*, der starke Protestaktionen im Land nach sich zog.
Doch wie kam es dazu und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für das Leben der Menschen in Myanmar?
Dieser Artikel stellt einen kurzen historischen Abriss bis zum jüngsten Militärputsch und beschäftigt sich zudem mit dem Völkermord an den Rohingya und deren Fluchtgeschichte.
Myanmar war eine der reichsten ostasiatischen, britischen Kolonien. Von ihrer Unabhängigkeit im Jahre 1948 bis 1962 hatte Myanmar (damals noch Birma) zunächst eine zivile, also nicht-militärische, Regierung . Doch seit 1962 wurde das Land durch eine Militärjunta, also eine von Offizieren eines Putsches errichtete Regierung, gelenkt.
Im Jahre 1990 fanden dann erste Versuche einer freien Wahl statt. Diese Wahl gewann Aung San Suu Kyi mit ihrer Partei “Nationale Liga für Demokratie” (NLD). Das alte Militärregime erkannte die Wahl aufgrund eines für sie unerwünschten Ergebnisses nicht an. Daraufhin folgte für Aung San Suu Kyi ein insgesamt 15 Jähriger Hausarrest.
Im August 2003 kündigte das Tatmadaw, wie die Streitkräfte in Myanmar heißen, dann einen “Demokratie-Fahrplan” an, der freie und gerechte Wahlen versprach. Nur das “Wann” dieser Demokratie blieb offen. Bis zu diesem Zeitpunkt war Myanmar fast vollständig vom internationalen Markt abgeschottet, doch nach und nach wurden ausländische Investitionen zugelassen, sodass es auch zum wirtschaftlichen Wachstum des Landes kam.
2015, 12 Jahre später, fanden dann die ersten freien Wahlen in Myanmar statt, welche erneut Aung San Suu Kyi gewann. Doch auch diesmal gab das Militär nicht die Macht ab. Die Tatmadaw sicherte sich 25% der Sitze im Parlament und behielten sich ein Vetorecht bei. Zudem machten Klauseln in der Verfassung es Aung San Suu Kyi unmöglich, Präsidentin zu werden, da sie mit einem nicht aus Myanmar stammenden Mann verheiratet war. Auch wenn die Tatmadaw ihre Machtposition nicht ganz aufgaben, wurden die Wahlen trotzdem als glaubhaft akzeptiert und bis zum jüngsten Militärputsch am 01.02.2021 wurde war Myanmar eine Demokratie.
Doch auch die junge Demokratie bot nicht für jede Bevölkerungsgruppe Schutz: 2016 startete Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing eine Hasskampagne gegen die Bevölkerungsgruppe der Rohingya auf Facebook. Auswirkung dieser Kampagne war, dass die Menschen aus Myanmar nun auch gegen die Rohingya hetzen und das Vorgehen des Militärs gegen diese befürworten.
Die Rohingya sind eine muslimische Minderheit, die im nördlichen Teil der an Bangladesch grenzenden Region Rakhaing leben. Bis 2017 lebten dort etwa eine Millionen Rohingya. Sie wurden jedoch nicht als eine der offiziellen 135 ethnischen Gruppen Myanmars angesehen, denn ein Gesetz von 1982 verbietet ihnen den Erwerb der Staatsbürgerschaft; sie sind damit staatenlos. Der Ursprung der Rohingya ist bis heute ungeklärt. Vertreter*innen der Rohingya sagen aus, dass sie aus einem Bevölkerungsteil aus dem Königreich Arakan (heute die Region Rakhaing) entstanden sind, welcher zum Islam konvertierte. Zwar gab es einen solchen Bevölkerungsteil, die Beweise, dass die Rohingya diese Nachfahren sind, fehlen jedoch.
Eine zweite Mutmaßung über den Ursprung beschreibt die Rohingya als aus Bangladesch stammende Geflüchtete muslimischen Glaubens. Letztere Mutmaßung wird unter anderem von der Militärregierung als Rechtfertigung für die Aberkennung der Staatsbürgerschaft der Rohingya verwendet. Darüber hinaus rechtfertigt er myanmarische Generalkonsul in Hongkong die Aberkennung der myanmarischen Staatsbürgerschaft damit, dass die Rohingya eine dunklere Hautfarbe als die Burmesen hätten. Durch ihre Staatenlosigkeit werden dieser ethnischen Gruppe in Myanmar keinerlei Rechte zugesprochen. Rohingya unterliegen Reisebeschränkungen innerhalb und außerhalb des Landes, haben keinen Zugang zu höherer Bildung und dürfen nicht an Wahlen teilnehmen. Zudem wird ihnen kein Privateigentum zuerkannt, sodass ihr Besitz ohne juristische Konsequenzen zerstört oder gestohlen werden kann. Die Rohingya müssen in Myanmar Sondersteuern zahlen und Zwangsarbeit leisten. Des Weiteren wird regelmäßig Gewalt gegen sie angewendet, so kommt es zum Niederbrennen ihrer Häuser sowie zu Mord, Vergewaltigung und Folter.
Bereits 1990 gab es 400.000 Rohingya, die während einer durch das Militär eingeführten Operation namens „reine und schöne Nation“ zur Flucht aus Myanmar gezwungen wurden.
Die UN stuft die Rohingya daher als “am stärksten verfolgte Minderheit der Welt ein”.
Doch Verfolgung und Diskriminierung hören nicht mit dem Grenzübertritt auf, die Lebensumstände der Rohingya verbessern sich auf der Flucht nicht. Sogar im Exil müssen sie mit Festnahmen durch die myanmarische Regierung rechnen. Zudem wurden 2009 etwa 1000 nach Thailand geflüchtete Rohingya wieder abgeschoben. Von denen sich auf See, in motorlosen Booten, befindlichen Rohingya konnte nur etwa die Hälfte gerettet werden.
Am 25. August 2017 kam es zu verschiedenen Anschlägen in Myanmar durch die islamistische Terrorgruppe ARSA (Arakan Rohingya Salvation Army). Die Militärjunta nutzte dies als Rechtfertigung für eine Großoffensive gegen die Rohingya. Innerhalb der ersten Woche wurden 2600 Häuser niedergebrannt und die hohe Kommission für Geflüchtete der Vereinten Nationen (United Nations High Commitional for Refugees = UNHCR) zählte 58.600 neu geflüchtete Rohingya in Bangladesch. Diese berichteten von einer systematischen Vertreibung durch die Militärregierung.
Wenig später plädierte Bangladesch für die Wiederaufnahme der geflüchteten Rohingya in Myanmar. Die de facto Staatschefin Aung San Suu Kyi, die keine Präsidentin sein durfte, das Land aber größtenteils lenkte, sagte vor der UN aus, dass die Rohingya illegale Geflüchtete seien, die entweder Myanmar verlassen oder in UNHCR Camps deportiert werden sollten.
Zu diesem Zeitpunkt waren bereits ein Drittel der gesamten Bevölkerung der Rohingya aus Myanmar vertrieben worden. Die UN sprach daraufhin von einer “ethnischen Säuberung” durch die Tatmadaw. Ende Oktober 2017 hatte sich die Zahl der geflüchteten Rohingya in Bangladesch auf 1.000.000 Menschen erhöht, wodurch die Regierung in Bangladesch Maßnahmen in Form von Bewegungseinschränkungen der Geflüchteten ergriff. Heute leben in Folge der verschiedenen Fluchtbewegungen rund 1,5 Millionen geflüchtete Rohingya in Bangladesch und weiteren benachbarten südostasiatischen Ländern.
Vielleicht auch durch die Verteidigung der Militäreinsätze gegen die von vielen Menschen in Myanmar gehassten Gruppe der Rohingya, gewann Aung San Suu Kyi im August des Jahres 2020 einen Großteil der Stimmen bei der neuen Wahl. Eine Wahl, bei der nur manche der Kandidaten der Rohingya, die antreten wollten, tatsächlich wählbar waren. Doch trotz der Mehrheit der Stimmen zweifelte die Tatmadaw an der Legitimität der Wahl und benutzte dieses Argument, um einen Putsch zu rechtfertigen. Am 01.02.2021 ergriff das Militär die Macht, geführt von Min Aung Hlaing, der aufgrund seines Alters von 64 Jahren Mitte des Jahres hätte abtreten müssen. Seit diesem Putsch, der Min Aung Hlaing zum Staatspräsidenten machte, gehen die Menschen in Myanmar auf die Straße. Demonstrationen sind für die myanmarische Bevölkerung etwas Neues. Die Menschen in Myanmar bilden eigentlich ein sehr systemkonformes Volk und haben sich nur selten gegen ihre Regierung aufgelehnt. Dass dies ausgerechnet jetzt geschieht, liegt an der in den letzten Jahren neu entstandenen, internationalen Öffnung des Landes, durch die sie größere Freiheiten genießen konnten. Auch der Zugang zum Internet eröffnet ihnen die Sicht auf den Wohlstand anderer Länder. Maßnahmen seitens der Militärjunta gegen die Demonstrationen waren vorerst nur das Sperren von sozialen Netzwerken wie Facebook, Internet und Twitter, die bereits während der letzten Militärdiktatur erfolgt sind. Als dies die Menschen jedoch nicht vom Demonstrieren abhielt, wurde zeitweise Kriegsrecht über verschiedene Städte verhängt. Infolgedessen schossen Sicherheitskräfte auf Demonstranten und setzten Gewehrgranaten ein, um sie zurückzuhalten. Des Weiteren wurden auch Kinder und Trauernde bei Beerdigungen erschossen. Laut Angaben der Vereinten Nationen (United Nations/UN) sollen seit Beginn des Putsches mehr als 1100 Demonstranten getötet worden sein. Ebenso befinden sich derzeit etwa 4700 Menschen in Haft, darunter 34 Journalisten und auch die Staatschefin Aung San Suu Kyi, die am 3. Februar 2021 wegen Hochverrats angeklagt wurde, sowie der ehemalige myanmarische Staatspräsident Win Myint und mindestens 43 weitere hochrangige Regierungsmitglieder, welche allesamt am 1. Februar 2021 vom Militär festgenommen wurden. Die Militärjunta ließ außerdem bis einschließlich August 2023 einen Ausnahmezustand über Myanmar verlauten.
Auch Covid-19 führte zu viel Leid, denn das Virus verbreitete sich schnell im Land und es gab nicht ansatzweise genug medizinische Versorgung, sodass es zu tausenden Toten kam.
Es bestehen Versprechungen seitens der Militärjunta, dass es 2023 zu Neuwahlen kommen soll, doch solche Versprechen wurden in der Geschichte Myanmars bereits oft gemacht und es hat sich gezeigt, dass auf diese kein Verlass ist. Deswegen gehen die Leute weiterhin für ihre Rechte auf die Straßen. In Klöstern werden heimlich Revolutions-Zeitungen gedruckt und im Geheimen wird regimekritische Satire veranstaltet. Die Bevölkerung Myanmars wehrt sich, sie wollen nicht länger ohne Demokratie leben. Doch die Brutalitäten enden nicht und viele Menschen, insbesondere ethnische Minderheiten, müssen ihr Heimatland verlassen und fliehen.
*In diesem Beitrag wird vorwiegend die Bezeichnung Myanmar statt Birma/Burma verwendet, obwohl diese von der Militärjunta eingeführt wurde, da sie mittlerweile auch von demokratische gewählten Vertretern, wie z.B. Aung San Suu Kyi selbst verwendet wird und dies der offizielle Name des Landes ist.