Menschenrechte sind unteilbar- Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa

Tagungsbericht: 19. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz, 24. und 25. Juni 2019

70,8 Millionen schutzsuchende Menschen befanden sich 2018 auf der Flucht – dies ist der höchste Wert überhaupt seit der Gründung des UNHCR 1950. Entgegen dem allgemeinen Eindruck befindet sich dabei nur ein Bruchstück von Geflüchteten in Europa- 91 % sind in den Ländern des Globalen Südens.[1] Nichtsdestotrotz sind die aktuellen Diskussionen zur sog. Flüchtlingspolitik vor allem auf die Sicherung der Außengrenzen der Europäischen Union (EU) und die Auslagerung der Verantwortung für Schutzsuchende auf andere Staaten fokussiert. Der Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen scheint dagegen in den Hintergrund zu treten. Während sich die EU-Mitgliedsstaaten nicht auf eine solidarische Aufnahme von Geflüchteten innerhalb der EU einigen können, ertrinken weiterhin Menschen im Mittelmeer, sitzen in unmenschlicher Haft in Libyen fest oder leben unter menschenunwürdigen Bedingungen auf den griechischen Inseln in den „Hotspots“.

Keine andere Frage als die nach der Aufnahme von Geflüchteten scheint dabei die Gesellschaften in der EU so sehr zu polarisieren und führt zu einer Verschiebung der Politik nach rechts. Bezeichnend hierfür ist z.B. der durch einen Rechtsextremisten mutmaßlich ausgeübte Mord am CDU-Politiker und Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, welcher sich solidarisch mit Geflüchteten gezeigt hatte oder die zunehmende Kriminalisierung der Zivilgesellschaft, wie z.B. durch Italiens Innenminister Salvini, die in der Festnahme der Kapitänin der Seewatch 3, Carola Rackete, gipfelte.

Das 19. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz bot Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung, Justiz, Anwaltschaft, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen, Menschen mit Fluchtgeschichte und freiwillig Engagierten ein Forum für einen offenen und konstruktiven Austausch für diese drängenden Fragen unserer Zeit, die politisch abgewogen und für Lösungswege juristisch auf den Punkt gebracht werden müssen. Das Symposium wurde durch den Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin, Dr. Rüdiger Sachau, eröffnet; durch die Veranstaltung führte Dr. Claudia Schäfer.

Seenotrettung: UNHCR-Vertreter Dominik Bartsch fordert „Koalition der Willigen“

Den Auftakt machte Herrn Dominik Bartsch, Repräsentant des Hohen Flüchtlingskommissars in Deutschland. Bartsch beklagte, dass in Europa die Tendenz im Flüchtlingsschutz mehr und mehr in den Kontext von Steuerung und Koordination rücke, beispielsweise bei der Diskussion, welcher EU-Staat für welchen Asylsuchenden zuständig ist. Dies sei nicht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, weil so der spontane Schutz unterminiert werde. Der Einzelne könne nicht planen, wann ein Schutzbedarf vorliegt. Zudem empöre es ihn, dass es noch immer keine Lösung im Streit über die Seenotrettung gäbe. Die Seenotrettung gerät unter Druck, seit Italien Geflüchtete nicht mehr aufnehmen will, sondern darauf besteht, dass sie direkt in andere Länder gebracht werden. Seither wurde mehrfach Schiffen, mit Geretteten an Bord, die Einfahrt in einen Hafen tagelang verweigert, bis in diplomatischen Gesprächen jeweils einzelne Lösungen gefunden wurden. Die Rettung von Menschenleben habe oberste Priorität vor allen anderen Maßnahmen, so Barsch. So solle die Seenotrettung in die EU-Mission „Sophia“ wieder aufgenommen und die private Seenotrettung nicht behindert werden. Zur Umsetzung plädierte er dafür, eine „Koalition der Willigen“ einzuberufen und appellierte an die Politik anzuerkennen, dass Flüchtlingsrechte Menschenrechte sind.

Die Einhaltung von Menschenrechten vor Europas Grenzen und der Zugang zu internationalem Schutz in der Europäischen UnionErzbischof Dr. Stefan Heße, Hamburg

Unter dem Druck einer wachsenden Zahl von Geflüchteten und der fehlenden Verantwortungsteilung, begann der Bischof, werde eine kluge und gerechte Flüchtlingspolitik immer mehr zu einer Gratwanderung für demokratische Staaten. Hier verliere Europa das gebotene Maß an Menschlichkeit und Gerechtigkeit aus den Augen und fokussiere sich zu sehr auf Aufgaben des Grenzschutzes und der Sicherheit. Ganz deutlich zeige sich der Vorrang des nationalen Grenzschutzes auf Kosten von Menschenleben auf dem Mittelmeer. Seit 2015 sind mehr als 13.000 Schutzsuchende im Mittelmeer ertrunken; 2018 waren es insgesamt 2275 Menschen- das sind im Schnitt täglich sechs Menschen.[2] Heße kritisierte zudem das europäische Übereinkommen mit Libyen, wonach die libyische Küstenwache ca. 85 % der Geflüchteten im Mittelmeer aufgreift und sie in katastrophale Lager zurückführt. Da Libyen aktuell ganz eindeutig kein sicheres Land für Schutzsuchende darstelle, sei diese Rückführung nicht verantwortbar. Die Solidarität mit Geflüchteten und Migrant*innen sowie allen notleidenden Menschen gehöre zum Kern des christlichen Glaubens. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 proklamiere auch ein Recht auf Auswanderung. Zwar kenne die Menschenrechts-Charta kein ausdrückliches Recht auf Einwanderung in ein anderes Land, doch würden manche Menschenrechte praktisch bedeutungslos werden, wenn Schutzsuchende eine Aufnahme nicht geltend machen könnten. Dabei gehe die Soziallehre der Kirche weiter als die Menschenrechts-Charta, wo es heißt: „Zu den Rechten der menschlichen Person gehört es auch, sich in diejenige Staatengemeinschaft zu begeben, in der man hofft, besser für sich und die eigenen Angehörigen sorgen zu können“[3].

Aktuelle Herausforderungen für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Flüchtlingsschutz, Dr. Sarah Teweleit, Nationale Stelle zur Verhütung von Folter (Wiesbaden)

Zu Beginn ihres Vortrags verwies Dr. Sarah Teweleit darauf, dass das Thema „Migration“ zu den größten zu lösenden Aufgaben in Europa und somit zu den Prioritäten des Europarats gehöre. In diesem Zusammenhang berichtete sie über die aktuellen Herausforderungen des EGMR und die Ansichten des dortigen Richters Pinto de Albuquerque. Die Rolle und Aufgabe des EGMR sei darauf gerichtet zwischen dem Interesse des Einzelnen und dem Interesse der Staaten andererseits eine Balance zu finden. Im Migrationsrecht, erklärte sie, bedeute das konkret das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht der Staaten, die Einreise und den Aufenthalt in ihrem Hoheitsgebiet zu kontrollieren, und die Notsituation der Migrant*innen und Geflüchteten auf der anderen Seite zu lösen. Laut dem EGMR gehören Geflüchtete dabei zu der Gruppe der besonders vulnerablen Personen und bedürfen somit eines erhöhten Schutzes. Im Weiteren betonte sie insbesondere das zunehmende Aufkommen der „crimmigration“- der Verflechtung und Interaktion von Straf- und Migrationsrecht. Hier würden Instrumente des Migrationsrechts (wie z.B. Ausweisungsmaßnahmen) dazu benutzt Kriminalität zu bewältigen, während andererseits Instrumente des Strafrechts (z.B. Festnahme/ Freiheitsentziehung) angewandt würden, um die Vollziehung von migrationsrechtlichen Maßnahmen zu begünstigen. Ferner berichtete sie auch über sog. Pushbacks in Spanien und darüber, dass es innerhalb des EGMR auch stark voneinander abweichende Tendenzen betreffend dem Schutz von Geflüchteten gebe. Da der EGMR dabei das größte und wichtigste Institut zum Schutz von Schutzlosen in Europa darstelle, müsse dieser diesem Ruf auch gerecht werden.

Europäische Integration durch Flüchtlingsschutz- Aus der Rechtslosigkeit ins Recht, Dr. Reinhard Marx, Rechtsanwalt, Frankfurt

Rechtsanwalt Marx machte darauf aufmerksam, dass die Externalisierungspolitik der EU nicht nur ein Versagen im Bereich des Flüchtlingsschutzes bedeute: Die EU löse sich von ihren überkommenen, historischen Werten- Interessen gingen Werten vor. Durch die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache verletzten die EU-Mitgliedsstaaten mangels Ausübung eigener Hoheitsgewalt zwar selbst nicht das sog. non-refoulement-Gebot nach Art. 33 GFK bzw. Art. 3 EMRK, sie trügen aber dazu bei, dass die zurückgebrachten Geflüchteten Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Art. 7 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs würden. Dabei würden nur 2 % den Fluchtweg über das Mittelmeer wagen, wobei schon unvermeindlich Tausende ertrinken. Die Ereignisse im Mittelmeer verwandelten sich in die Routine der Normalität und die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Werte, die Europa zusammenhalten, würden schwinden. Um diese Entwicklung aufzuhalten und ein Zusammenwachsen der EU-Mitgliedsstaaten zu fördern, bräuchten wir eine neue Erzählung über den Flüchtlingsschutz, die Geflüchtete und europäische Bürger durch die Menschenwürde miteinander verbindet. Hier müsse an den Gedanken der Universalität der Menschenrechte mit jenem Bewusstsein angeknüpft werden, dass Angriffe auf die Menschenrechte von Geflüchteten auch Angriffe auf die von Bürger*innen der EU sind. Rechtsanwalt Marx hat ein hierauf aufbauendes Neun-Punkte-Programm, welches durch die Neue Richtervereinigung und Pro Asyl verabschiedet wurde, verfasst. Die rote Linie für die Steuerung der humanitären Migration sei dabei das non-refoulement-Gebot. So ist die oberste Forderung die Verpflichtung der Europäischen Grenz- und Küstenwache, Geflüchtete auf Hoher See an Bord zu nehmen und zur Prüfung ihres Asylantrags in den nächstgelegenen Mitgliedstaat auszuschiffen. Ein dahingehendes Unterlassen und/oder die Verhinderung der privaten Seenotrettung, soll bestraft werden. Ferner soll die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache verboten werden, ebenso wie die Schließung von Abkommen mit Anrainerstaaten mit dem Ziel, Schutzsuchende an der Grenze der EU zu übernehmen.

Flucht über das Meer – Wie können die Menschenrechte geschützt werden?

In der Podiumsdiskussion über die Frage, wie Menschenrechte bei der Flucht über das Mittelmeer geschützt werden können, beklagte Dr. Julia Duchrow von Amnesty International Berlin, dass sich Geflüchtete in einem Schwebezustand befinden würden, weil europäische Staaten ihren Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere dem non-refoulement-Gebot nicht nachkommen würden. Jene zivilgesellschaftlichen Akteure, die wiederum versuchen diese Schutzlücke zu schließen, würden zunehmend kriminalisiert. Dem erwiderte Michael Shotter von der Europäischen Kommission, dass das Retten von Menschenleben ganz oben auf der Agenda der EU stehe. Wo die EU handeln könne, müsse sie auch handeln- die Frage sei nur wo sie im Rahmen ihrer Kompetenzen handeln könne. So könne sie nicht über die Ausschiffung an Häfen bestimmen. Um schnelle Lösungen für den Umgang mit Geretteten zu finden, bedürfe es hier eines vorläufigen Mechanismus zur Verteilung der Menschen auf die Mitgliedstaaten. Längerfristig sei nach der Migrationsagenda der Kommission innen- und außenpolitisches Handeln zu verknüpfen. Nach innen sei die Vollendung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zur Gewährung effizienter, fairer und humaner Asylpolitik mit einem gerechten System zur Verteilung der Asylbewerber auf die Mitgliedsstaaten erforderlich. Wichtig seien hierbei Möglichkeiten legaler Zuwanderung, die Ausweitung von resettlement-Programmen sowie die Gewährleistung eines gemeinsamen Außengrenzmanagments durch volle Einsatzbefähigung der Europäischen Grenz- und Küstenwache. Schließlich befürwortete er das zivilgesellschaftliche Engagement im Mittelmeer, gleichzeitig forderte er aber auch, dass alle Akteure im Mittelmeerraum dafür sorgen müssten, dass die Hilfe auf See unter Beachtung internationaler Regeln erfolge und nicht das Geschäftsmodell von Schleppern stütze.

Aktuelle Entwicklungen im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Dr. Hans-Eckhard Sommer, Präsident des BAMF

Zunächst erörterte BAMF-Präsident Eckard Sommer den Flüchtlingsbegriff und führte aus, dass nicht all Menschen auf der Flucht die Voraussetzungen für eine asylrechtliche Schutzgewährung erfüllen. So würden z.B. jene, die ihr Heimatland mit der Aussicht auf ein besseres Leben verlassen, nicht darunter fallen. Er betonte dabei, dass ihm die Orientierung am geltenden Recht ein zentrales Anliegen im Rechtsstaat sei und auch die zivilgesellschaftlichen Akteure, wie die Flüchtlingsräte, sich daran orientieren müssten. Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung der Asylgesuche in Deutschland seien zwar mit 186.000 Asylanträgen 2018 im Vergleich zum Vorjahr die Zahlen rückläufig (um 17 %), aber dennoch 2019 mit 17.000 Anträgen in den ersten fünf Monaten auf einem relativ hohen Niveau. Dabei würde weniger als die Hälfte der Anträge die Voraussetzungen für eine asylrechtliche Schutzgewährung erfüllen (Anmerkung der Redaktion: hier spricht BAMF-Präsident nicht von der „bereinigten Schutzquote“– diese fällt deutlich höher aus). Es sei daher Aufgabe der Politik, keine Anreize für Deutschland zu schaffen und dafür zu sorgen, dass weniger Menschen ihre Heimat verlassen, um in Deutschland Asyl zu beantragen. Das BAMF habe eine umfassende Umstrukturierung erfahren um für die bestmögliche Qualitätssicherung zu sorgen. Das Ziel, Asylverfahren innerhalb von drei Monaten zu entscheiden, sei erreicht worden. In den neuen AnkER-Einrichtungen liege die durchschnittliche Verfahrensdauer sogar bei nur 1,9 Monaten. Die Qualitätsoffensive des BAMF trage dabei Früchte – so sei die Verpflichtungsquote der Verwaltungsgerichte rückläufig: Während sie im Jahr 2017 noch 22 % betragen habe, liege sie aktuell bei 15 %. Auch berichtete er von Widerrufsverfahren als einem zentralen Aufgabenfeld des Amtes. Alle positiven Bescheide, in denen Flüchtlingsschutz zuerkannt wurde, müssten noch einmal überprüft werden. Bis zum Ende des Jahres 2021 rechne man mit rund 700.000 Rücknahme- und Widerrufsprüfungen. Dabei betrage die Widerrufs- und Rücknahmequote im Moment nur rund 2 %.

Ankommen in Deutschland – Geflüchtete Menschen erzählen

Schließlich bot das Symposium auch Menschen mit Fluchtgeschichte ein Forum, um aus ihrer ganz persönlichen Perspektive über Flucht und das Ankommen in Deutschland zu erzählen. So hörten wir die Geschichte von der Studentin Ranim Daree, die über ein Resettlement-Programm nach Deutschland gekommen war, die des Studenten Ali Rezaie, dessen Vater in Afghanistan für die Bundeswehr gearbeitet hatte und die der Berliner Schülerin Hava Morina aus dem Kosovo. Alle perfekte Beispiele für gelungene Inklusion: Obwohl sie erst seit ein paar Jahren in Deutschland leben, sprechen sie fließend Deutsch, spielen Fußball oder Theater und engagieren sich für andere Geflüchtete. Für Personen aus sog. „sicheren Herkunftssstaaten“, wie beispielsweise im Fall von Hava Morina aus dem Kosovo, ist das aber in Bezug auf ihr Bleiberecht grundsätzlich irrelevant. Nachdem bereits ihre Eltern abgeschoben wurden, konnte ihre eigene Abschiebung nur durch Stellung eines Härtefallantrags bei der Härtefallkommission des Landes Berlin verhindert werden, dessen Stattgabe schließlich zur Bewilligung einer Aufenthaltsgenehmigung durch den Berliner Senat führte. Seitdem lebt die 18-Jährige Schülerin getrennt von ihrer Familie in Berlin. Auf die Frage, was „Ankommen“ in Deutschland für sie alle bedeuten würde, wurde u.a. ausgeführt, sich wieder zu Hause und sicher zu fühlen, nachdem man diese Sicherheit im Heimatland verloren hatte; mit der Familie zusammen zu sein; die deutsche Sprache zu beherrschen; auf Augenhöhe behandelt zu werden und so akzeptiert zu werden, wie man ist. Als Hürden für das Ankommen wurden u.a. fehlende Sprachkurse für Personen aus bestimmten Herkunftsstaaten wie Afghanistan genannt; die komplizierte deutsche Bürokratie; Ausgrenzungserfahrungen durch Rassismus und Islamophobie. Die Motivation für ihr ehrenamtliches Engagement bestehe dabei darin, so schnell wie möglich ein Teil der deutschen Gesellschaft zu werden; sich abzulenken und z.B. durch Theater ihre Gefühle zu verarbeiten und auszudrücken. Das Podium wurde durch einen Appell an die Politik beendet- so forderte Ali Rezai z.B. Flüchtlingswohnheime so schnell wie möglich zu schließen, um Integrationshindernisse zu vermeiden; einen besseren Zugang zu Sprachkursen; eine Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt und Unterstützung von interkulturellen Programmen, um Rassismus abzubauen. Schließlich appellierte er dafür, Abschiebungen nach Afghanistan wegen der dortigen Sicherheitslage zu stoppen; mehr Resettlement-Programme in den Herkunftsländern einzuführen, damit gerade auch die Mittellosen kommen können und keine gefährlichen Fluchtrouten auf sich nehmen müssen und schließlich den Waffenverkauf in Kriegsländer zu stoppen um nicht weitere Fluchtgründe zu verursachen.

Kommunen als „sichere Häfen“ – Neue Akzente im Flüchtlingsschutz

Angesichts der Uneinigkeit der EU-Mitgliedsstaaten im Hinblick auf eine gemeinsame europäische Lösung bei der solidarischen Aufnahme von Schutzsuchenden und der Weigerung von Grenzstaaten wie Italien und Malta, die Ausschiffung von Seenotgeretteten zuzulassen, rücken andere Akteure in den Fokus. So haben sich für die Aufnahme von im Mittelmeer Geretteten 60 deutsche Städte zu einem Netzwerk „Sichere Häfen“ zusammengeschlossen, die sich auf Initiative der „Seebrücke“ zusammengefunden haben. Dieser Ansatz von der EU- und der nationalen Regierungen weg und hin auf die der europäischen Städte und Kommunen als neuer Ausblick im Flüchtlingsschutz zu wechseln, war Gegenstand der letzten Podiumsdiskussion. Zunächst führte Prof. Dr. Gesine Schwan von der Humboldt-Viadrina Governance Platform (Berlin) diesen Gedanken in einem Impulsvortrag aus. Die Kompetenzen der Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten seien zu stärken und ihr Potenzial für die Weiterentwicklung eines Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zu nutzen. Die Grundsätze der Freiheit und Gerechtigkeit seien dabei wichtige Pfeiler dieser Politik: Eine freiwillige Aufnahme sei wesentlich, allerdings verknüpft mit einem Anreizsystem, wie die eines Europäischen Fonds. Dieser Ansatz sei über die Hilfe für Geflüchtete hinaus auch für die eigene Weiterentwicklung der Kommunen essentiell- denn dies bedeute mehr Selbstbestimmung für diese und zugleich eine aktive Partizipation für die Bürger*innen. Die Solidarität mit Geflüchteten und zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten untereinander sei darüber hinaus auch im Interesse des Fortbestands der EU. Denn der Grund, warum sich die EU immer weiter auflöse liege an der mangelnden Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten. Dies würden wir v.a. auch am Fall Italiens und der Politik Salvinis sehen – ein Land, das von den übrigen EU-Staaten bei der Aufnahme von Schutzsuchenden im Stich gelassen worden sei. Für mehr Solidarität sei hier analog zu den „fridays for future“ mehr politischer Druck erforderlich um auch den Rechten den Wind aus den Segeln nehmen zu können.

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion kritisierte Miriam Koch vom Amt für Migration und Integration in Düsseldorf zunächst den BAMF-Präsidenten Sommer dafür, dass dieser die Zivilgesellschaft pauschal diffamieren würde, wenn er behauptet, dass diese nicht immer gesetzeskonform handele. Gerade von der Zivilgesellschaft in den Kommunen gingen die praktischen Lösungen aus, so Koch. Zudem forderte sie, dass es nicht mehr nur bei einem Appell bleiben könne, sondern dass Menschen aus der Seenotrettung direkt in die Kommunen kommen sollten. Dieser kommunale Weg über eine „Koalition der Willigen“ zur Aufnahme Geflüchteter, die es nicht nur in Deutschland gebe, sondern auch in vielen anderen europäischen Städten, wie z.B. in Neapel, solle nicht weiter von der EU und ihren Mitgliedsstaaten ignoriert werden. Für die konkrete Umsetzung der kommunalen Aufnahme appellierte sie für einen Gipfel der Kommunen mit dem Bund in Berlin.

Der Vertreter des Bundesinnenministeriums, Dr. Ralf Lesser, betonte, dass die Bereitschaft der Kommunen, mehr Geflüchtete aufzunehmen als sie müssten, ausdrücklich zu begrüßen sei. Doch dies ändere nichts daran, dass die Entscheidung über die Ausschiffung der Schutzsuchenden bei dem betreffenden Küstenstaat liege. Koch warf daraufhin der Bundesregierung vor, über Zuständigkeiten zu reden, während das Sterben im Mittelmeer weiter gehe.

Günter Burkhardt von Pro Asyl appellierte an die Bundesregierung „politisch zu denken“. Hinter der aktuellen Debatte um die Aufnahme von aus Seenot geretteten Geflüchteten stehe die Frage, „ob Rechtspopulisten in verschiedenen Staaten Europas die Regierung übernehmen“. Der italienische Innenminister Salvini gewinne großen Zulauf durch seine rechtspopulistischen Äußerungen gegen Geflüchtete. Zum Abschluss appellierte Liza Pflaum von der „Seebrücke“ an eine europäische Bewegung, die Migration als etwas Positives denkt.


[1] Vgl. UNHCR-Jahresbericht 2018, “Global Trends in forced Displacement“, welcher zeitnah zum sog. Weltflüchtlingstag, am 19. Juli 2019, veröffentlicht wurde; https://www.unhcr.org/global-trends-2018-media.html.

[2] Vgl. UNHCR-Bericht, https://www.unhcr.org/dach/ch-de/29028-sechs-tote-jeden-tag-unhcr-legt-erschuetternde-bilanz-fuer-2018-vor-im-zentralen-mittelmeer-ertrank-einer-von-15-menschen.html.

[3] Papst Johannes XXIII. 1963 in seiner Enzyklika „Pacem in terris“, Nr. 106.


Zitiervorschlag:
Şahin, Safiye: Menschenrechte sind unteilbar – Flüchtlingsschutz in Deutschland und Europa, RLC Journal (2019) 17. 
<https://rlc-journal.org/2019/menschenrechte-sind-unteilbar/>


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