Erwerbsmigration gegen den Fachkräftemangel – Ein Beitrag zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Einleitung

Soll Deutschland ein Einwanderungsland sein? Diese Frage spaltet die deutsche Politik seit mehr als zwei Jahrzehnten (https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/eckpunktepapier-das-war-mehr-als-ueberfaellig-lob-fuer-seehofers-plaene-zum-einwanderungsgesetz/22922160.html?ticket=ST-3647539-CzfoEfArEUzrmivrHGaM-ap4). Der Deutsche Bundestag hat nunmehr am 7. Juni den Entwurf der Bundesregierung für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz (BT-Drs. 19/8285) in der vom Innenausschuss modifizierten Fassung (BT-Drs. 19/10714) verabschiedet (https://www.bundestag.de/#url=L2Rva3VtZW50ZS90ZXh0YXJjaGl2LzIwMTkva3cyMy1kZS1mYWNoa3JhZWZ0ZWVpbndhbmRlcnVuZy02NDU2MjY=&mod=mod493054).  Die Befassung des Bundesrates und die Ausfertigung durch den Bundespräsidenten stehen noch aus. Mit diesem Gesetz soll auf den ansteigenden Fachkräftemangel in der Gesundheits- und Pflegebranche, in den sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) und im Handwerk reagiert werden. Das in diesen Bereichen bestehende Defizit kann weder durch das Arbeitskräftepotential in Deutschland noch durch dasjenige im EU-Ausland gedeckt werden und droht angesichts des demographischen Wandels immer prekärer zu werden (S. die Zielsetzung des Regierungsentwurfs, BT-Drs. 19/8285, S. 1). Der folgende Beitrag beleuchtet zunächst die verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Vorgaben für die Regulierung der Erwerbsmigration (II.). Im Anschluss daran werden die wesentlichen Neuerungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes im Vergleich zu der noch geltenden Rechtslage bewertet (III. und IV.). Schließlich wird ein kurzes Fazit gezogen (V.).

Verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen

Das Grundgesetz enthält für die Regulierung der Erwerbsmigration kaum Vorgaben. Die Verweigerung der Einreise von Nicht-EU-Ausländern nach Deutschland beziehungsweise die Formulierung von Bedingungen für eine solche bedeutet grundsätzlich keinen Grundrechtseingriff – es sei denn es handelt sich um Fluchtmigration im Sinne von Art. 16a GG. Fluchtmigration wird vom Fachkräfteeinwanderungsgesetz aber nicht berührt. Dieses soll einzig die Erwerbsmigration regulieren (Zum Ganzen Langenfeld, NVwZ 2019, S. 677 (682)). In diesem Kontext muss der Gesetzgeber verfassungsrechtlich lediglich die sich aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ergebenden Anforderungen an eine Beschränkung des Nachzuges von Familienangehörigen beachten (Grundlegend hierzu BVerfGE 76, 1). Daneben existieren verschiedene unionsrechtliche Richtlinien, die im Zuge der Regulierung der Erwerbsmigration umgesetzt werden müssen, namentlich die Hochqualifizierten-Richtlinie (2009/50/EG), ABl. 2009, L 155/17, die Saisonarbeitnehmer-Richtlinie (2014/36/EU), ABl. 2014, L 94/375, die ICT-Richtlinie (2014/66/EU), ABl. 2014, L 157/1 und die REST-Richtlinie (2016/801/EU), ABl. 2016, L 132/21. Innerhalb dieses verfassungs- und unionsrechtlichen Rahmens kann der deutsche Bundesgesetzgeber frei bestimmen, ob und in welchem Umfang er Erwerbsmigration ermöglicht oder beschränkt und welche Anforderungen er an die Person der Erwerbsmigrant*innen stellt.

Bisherige Rechtslage nach dem Aufenthaltsgesetz

Der Aufenthalt zum Zwecke der Erwerbstätigkeit ist in den §§ 18 ff. AufenthG geregelt. Diese Vorschriften enthalten zum einen allgemeine Anforderungen, zum anderen besondere Anforderungen, die nach Personengruppen abgestuft sind.

§ 18 Abs. 1 AufenthG stellt Erwerbsmigration generell unter den Vorbehalt der Erfordernisse des Wirtschaftsstandortes Deutschland unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und dem Erfordernis, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Sie hat stets am Maßstab deutscher wirtschaftlicher und sozialpolitischer Interessen zu erfolgen (Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 333). Der Gesetzgeber hat sich für ein nachfrageorientiertes Modell entschieden (Langenfeld, NVwZ 2019, 677 (682)). Demnach erfordert die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke der Erwerbstätigkeit den Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzangebotes oder einer Berufsausübungserlaubnis (§ 18 Abs. 5 AufenthG). Nur für Personen, die über einen deutschen oder einen vergleichbaren Hochschulabschluss verfügen und deren Lebensunterhalt gesichert ist, ermöglicht § 18c AufenthG einen kurzfristigen Aufenthalt zur Arbeitsplatzsuche für bis zu sechs Monate. Da nach § 18 Abs. 2 AufenthG regelmäßig die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit einzuholen ist, dürfen für die angestrebte Beschäftigung schließlich in der Regel keine deutschen Arbeitnehmer oder EU-Ausländer zur Verfügung stehen, die einen vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt haben.

Die zusätzlich zu erfüllenden besonderen Voraussetzungen richten sich vorrangig nach der Qualifikation. Bei Personen mit qualifizierter Berufsausbildung muss nach § 18 Abs. 4 S. 1 AufenthG eine Zulassung der jeweiligen Berufsgruppe durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stattgefunden haben oder im Einzelfall ein öffentliches, insbesondere regionales, wirtschaftliches oder arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Beschäftigung bestehen. Liegt keine qualifizierte Berufsausbildung vor, ist eine zwischenstaatliche Vereinbarung oder eine Zustimmung durch Rechtsverordnung für die jeweilige Beschäftigung erforderlich (§ 18 Abs. 3 AufenthG).

Privilegierungen finden sich für besonders qualifizierte Personen: § 18b AufenthG ermöglicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Absolventen deutscher Hochschulen. § 19 AufenthG schafft für sonstige Hochqualifizierte die Möglichkeit, bereits im Zuge der erstmaligen Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Daueraufenthaltsrecht zu erhalten. § 19a AufenthG regelt schließlich die Erteilung einer Blauen Karte in Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie.

Auch wenn die Erwerbsmigration im internationalen Vergleich bereits nach bisheriger Rechtslage liberal ausgestaltet ist (Langenfeld, NVwZ 2019, 677 (682); Klaus/Mävers/Offer, ZRP 2018, S. 197 (197)), verdeutlichen die genannten Vorschriften den Handlungsbedarf des Gesetzgebers. An die Zuwanderung von Personen ohne Hochschulabschluss werden strenge Anforderungen gestellt. Damit spiegeln die §§ 18 ff. AufenthG nicht die gegenwärtigen Bedürfnisse des deutschen Arbeitsmarktes wieder. Dort besteht gerade in solchen Berufsfeldern ein Fachkräftemangel, für die ein Hochschulabschluss nicht erforderlich ist (Vgl. BT-Drs. 19/8285, S. 1).

Reform durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Eben dieses Problem soll durch die mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz einhergehende Reform der §§ 18 ff. AufenthG gelöst werden.

Gemäß § 18 Abs. 1 AufenthG n.F. bleibt es beim Grundsatz der Orientierung an den Erfordernissen des Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts Deutschland unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt. Das Prinzip der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entfällt hingegen. Stattdessen wird die Sicherung der Fachkräftebasis und die Stärkung der sozialen Sicherungssysteme zum Ziel erklärt. Bereits hier deutet sich ein grundlegender Richtungswechsel an. Ausländische Fachkräfte sollen nachhaltig in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden. Gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1, 3 AufenthG n.F. bleibt es aber bei einem nachfrageorientierten Modell. Grundvoraussetzung der Erwerbsmigration ist weiterhin der Nachweis eines konkreten Arbeitsplatzangebotes oder einer Berufsausübungserlaubnis.

Dennoch enthält das Fachkräfteeinwanderungsgesetz entscheidende Erleichterungen für eine Zuwanderung von Fachkräften: Die nach § 18 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 39 AufenthG n.F. erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit sieht keine Vorrangprüfung zugunsten von Deutschen oder EU-Ausländern mehr vor. Zudem stellt § 18 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG n.F. Personen mit qualifizierter Berufsausbildung und Hochqualifizierte bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich gleich. Entscheidendes Kriterium ist die Gleichwertigkeit der Qualifikation beziehungsweise die Vergleichbarkeit des Hochschulabschlusses. Der Begriff der Fachkraft wird in § 18 Abs. 3 AufenthG n.F. denn auch einheitlich definiert. Als solche gelten Ausländer, die über eine inländische oder eine gleichwertige ausländische Berufsqualifikation oder einen deutschen, einen anerkannten ausländischen oder einen einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren Hochschulabschluss verfügen. Die nunmehr erforderliche Anerkennung der Qualifikation soll gebündelt und in einem beschleunigten Verfahren vollzogen werden (§ 81a AufenthG n.F. S. dazu auch https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2018/fachkraefteeinwanderungsgesetz.html).

Weitere materielle Voraussetzungen bestehen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an Fachkräfte nicht (§ 18a AufenthG n.F.). Ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entsteht gemäß  § 18c AufenthG n.F. bei ausländischer Berufsausbildung grundsätzlich nach vier Jahren, bei inländischer Berufsausbildung bereits nach zwei Jahren. Von besonderer Bedeutung ist schließlich § 20 Abs. 1 AufenthG n.F., der nunmehr auch Fachkräften mit Berufsausbildung einen sechsmonatigen Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsplatzsuche und eine Probebeschäftigung von bis zu zehn Stunden pro Woche  ermöglicht, sofern sie entsprechend qualifiziert sind und über die erforderlichen Deutschkenntnisse verfügen.

Fazit und Ausblick

Das kürzlich vom Deutschen Bundestag verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist sichtlich von dem Ziel geprägt, auf den branchenspezifischen Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu reagieren. Gleichwohl liberalisiert es die Erwerbsmigration insgesamt, ohne Beschränkung auf Engpassberufe. Die entscheidenden Erleichterungen sind darin zu sehen, dass für Personen mit qualifizierter Berufsausbildung grundsätzlich schon die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Qualifikation zur Erteilung eines Aufenthaltstitels genügt und insbesondere auf eine Vorrangprüfung im Rahmen von § 39 AufenthG n.F. verzichtet wird. Bereits nach vier beziehungsweise zwei Jahren kann eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden. Besonders hervorzuheben ist schließlich die Ermöglichung eines Aufenthalts zur Arbeitsplatzsuche, der Fachkräften ohne Hochschulabschluss bislang verwehrt war. Von einem humankapitalorientierten Ansatz wie dem ursprünglich in Kanada praktizierten Punktesystem wird weiterhin abgesehen.

Die beabsichtigten Reformen des Aufenthaltsgesetzes durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz stimmen optimistisch. Auch wenn Fachkräfte dringender denn je benötigt werden, ist es richtig, grundsätzlich am nachfrageorientierten Modell festzuhalten, da dieses den tatsächlichen Bedarf des Arbeitsmarktes zuverlässig widerspiegelt. Gleichzeitig schafft das Fachkräfteeinwanderungsgesetz die dringend benötigten Erleichterungen für die Zuwanderung von Nicht-EU-Ausländern mit qualifizierter Berufsausbildung. Ob diese weitreichend genug sind oder ob sich neu geschaffene Anforderungen, wie namentlich die erforderlichen Deutschkenntnisse, als zu hohe Hürden erweisen, wird sich letztlich in der Praxis zeigen müssen. Ein entscheidender Faktor für die Bekämpfung des Fachkräftemangels wird der Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsplatzsuche sein. Hier sollte beobachtet werden, ob ein sechsmonatiger Aufenthalt bereits ausreicht  (Skeptisch Dörig, ZRP 2018, 251 (252)). Verbesserungsbedarf besteht weiterhin hinsichtlich der komplizierten Verfahrensgestaltung (Zu entsprechenden Möglichkeiten Klaus/Mävers/Offer, ZRP 2018, S. 197 ff.). Dessen ungeachtet wird die Liberalisierung der Rechtslage für sich nicht genügen, um den Fachkräftemangel zu beseitigen. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich zusätzlich um eine nachhaltige Standortwerbung im Ausland bemühen müssen (Dörig, ZRP 2018, 251 (252)).

Maximilian Schneider promoviert bei Prof. Dr. Anna-Bettina Kaiser an der Humboldt-Universität zu Berlin im öffentlichen Recht.

Literatur


Zitiervorschlag:
Schneider, Maximilian:  Erwerbsmigration gegen Fachkräftemangel, RLC Journal (2019) 14. 
<https://rlc-journal.org/2019/erwerbsmigration-gegen-den-fachkraeftemangel-ein-beitrag-zum-fachkraefteeinwanderungsgesetz/>


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