Ankommen in Deutschland – drei Studierende mit Fluchtgeschichte erzählen

„Wir wollen nicht bloß Thema, sondern ,Träger‘ des Diskurses sein, wir wollen nicht, dass man nur ,über uns‘ redet, sondern auch ,mit uns‘ “

Laut UNHCR befanden sich 2018 über 70 Millionen schutzsuchende Menschen auf der Flucht- davon haben nur 1 % weltweit Zugang zur Hochschulbildung. In Deutschland können Geflüchtete mittlerweile grundsätzlich unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ein Studium aufnehmen, wenn sie die entsprechenden hochschulrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Im März und April 2019 führte uni-assist e.V. (Arbeits- und Servicestelle für internat. Studienbewerbungen) in Kooperation mit der Humboldt-Universität eine online-Befragung unter 19.500 geflüchteten Studieninteressierten durch. Die Umfrage unter den Teilnehmenden ergab, dass 75 % aller Studienbewerber*innen mit Fluchthintergrund auch einen Studienplatz erhalten haben. Deutschland ist schon längst ein Einwanderungsland und wird auch langfristig ein solches bleiben- und da die Teilhabe an Bildung ganz entscheidend ist, um sich in einer Gesellschaft zu verankern, sprachen wir mit drei geflüchteten Student*innen über ihr Ankommen in Deutschland, Hindernisse und Hürden für ihre Inklusion in die Gesellschaft und ihren Appell an Gesellschaft und Politik.

Safiye Şahin von der RLC-Berlin sprach mit Fatima, Ali und Muaz. Fatima & Ali gehören der ethnischen Minderheit der Hazara in Afghanistan an. Nachdem Fatima´s Bruder und Ali´s Vater als Hilfskräfte bei der deutschen Bundeswehr gedient hatten, wurden sie von den Taliban bedroht. Durch die seit 2013 eröffnete Möglichkeit der Gewährung humanitären Schutzes für gefährdete afghanische Ortskräfte  durch das Bundesinnenministerium nach § 22 S. 2 AufenthG kamen sie mit ihren Familien 2015 nach Deutschland. Muaz verließ wegen dem Krieg in Syrien 2013 Damaskus als er noch im 4. Semester Germanistik-Student war.

Wie würdet ihr eurer Ankommen in Deutschland beschreiben?

Muaz: Ich hatte das Glück in Berlin untergekommen zu sein. Berlin ist offen und 2014 war eine gewisse Willkommenskultur zu spüren. Ich musste aber relativ früh erfahren, dass man sich sehr anstrengen muss, um in der teilweise sehr willkürlichen Bürokratie nicht unterzugehen. Wäre ich nicht immer wieder eigeninitiativ tätig gewesen und hätte für mein Recht gekämpft, wäre ich heute nicht da wo ich bin. Durch mein ehrenamtliches Engagement bei der KuB und den dortigen Kulturbodies fand ich zum Beispiel zu meinem Studium der Sozialen Arbeit. Ich bin mittlerweile im 7. Semester kurz vor Abschluss an der FA Potsdam.

Ali: Meine Schwester war bereits vor uns zur Aufnahme eines Medizin-Studiums nach Deutschland gekommen, so dass meine Familie und ich von Anfang an eine Orientierung hatten. Ich habe direkt am nächsten Tag nach meiner Ankunft angefangen deutsch zu lernen. Ich wollte keine Zeit verlieren. Meine Eltern waren Analphabeten in Afghanistan und haben uns immer motiviert zu studieren, damit wir ein besseres Leben haben können als sie selbst. Damals wurden die Sprachkurse nur bis zum Niveau B1 gefördert, so dass ich mich auf eigene Faust immer wieder um Stipendien für Sprachkurse bemühen musste, um das erforderliche Niveau von C 1 für den Zugang zum Studium zu erreichen. In der Nähe unserer Wohnung gab es ein Heim mit Afghanen, die mich immer wieder drum baten ihnen deutsch beizubringen. Leider haben nicht alle Afghanen einen Zugang zu Sprachkursen, weil angenommen wird, sie hätten keine sichere Bleibeperspektive in Deutschland. Fälle, wie die meiner Familie, in denen humanitärer Schutz gewährt wurde, sind eher eine Ausnahme. So fing mein erstes ehrenamtliches Engagement in Deutschland sehr früh an und ich begann Afghanen in Unterkünften deutsch beizubringen und sie bei bürokratischen Angelegenheiten zu unterstützen.

Welche Hindernisse sind euch auf diesem Weg genau begegnet?

Muaz: Insbesondere sprachliche und bürokratische Barrieren. Vor Beginn des Studiums nahm ich an einem 7-stündigen täglichen Sprachkurs teil- hier übte das Jobcenter enormen Druck aus, so dass ich meine Wochenenden mit Arbeiten verbringen musste. Beim Zugang zum Studium wurde ich zum Beispiel zunächst von uni-assist abgelehnt, weil ich nicht das hierfür erforderliche Sprachniveau C1 vorweisen konnte. Ich habe aber nicht aufgegeben, sondern mehrere Emails an die Uni geschrieben und persönlich vorgesprochen. Schließlich erlaubte mir die Uni, meinen C1-Sprachnachweis später nachzureichen. Wäre ich also nicht so beharrlich gewesen, hätte ich ein ganzes Jahr verloren. Außerdem erwies sich der Übergang vom Jobcenter zum Bafög als schwierig. Als Student kriegt man nichts mehr vom Jobcenter, der Bafög-Antrag wiederum kann erst mit der Immatrikulation gestellt werden. Im Ergebnis bleibt man also bis zur Entscheidung über den Bafög-Antrag erstmal ohne Geld. Die Abläufe sind sehr anstrengend, da man immer viel warten muss und meist erst durch eigenen großen Einsatz an sein Ziel kommt.

Fatima: Ich habe mich zunächst in Bonn um ein Studium beworben, wo ich durch ein hochschulinternes Zugangsverfahren an der Uni aufgenommen wurde. Nachdem ich aber aufgrund meiner Heirat nach Berlin gezogen bin, musste ich wegen der unterschiedlichen rechtlichen Regelungen der jeweiligen Bundesländer zum Hochschulzugang in Berlin von vorne anfangen. In Berlin besucht man zunächst ein Studienkolleg, welches auch noch eine Feststellungsprüfung vorsieht, bevor das Studium losgehen kann. Aufgrund vieler bürokratischer Hindernisse und wegen einiger teilweise ahnungsloser Sachbearbeiter habe ich leider viel Zeit verloren.

Ali: Ich hatte bereits einen Bachelor im Bauingenieurwesen in Afghanistan abgeschlossen. Das Jobcenter wollte, dass ich eine Weiterbildung mache und dann direkt arbeite. Ich aber habe mich entschieden hier weiter zu studieren, um mit einem deutschen Abschluss auch auf dem Arbeitsmarkt wirklich anerkannt zu werden. Weil ich bereits ein Studium in Afghanistan absolviert hatte, bekomme ich aber während meines Studiums leider weder Bafög noch Unterstützung vom Jobcenter. Daher musste ich zunächst neben dem Studium arbeiten, bis ich im zweiten Semester ein Stipendium erhalten konnte.

Was bedeutet für euch Ankommen in Deutschland?                                                  

Muaz: Ich fühle mich angekommen, wenn Leute mit mir sprechen und nicht über mich. Wir wollen nicht bloß Thema, sondern „Träger“ des Diskurses sein, wir wollen nicht, dass man nur „über uns“ redet, sondern auch „mit uns“. Ich fühle kulturbedingte Berührungsängste, insbesondere bei der Job- und Wohnungssuche. Rassismus und Islamophobie ist insbesondere auch über die Medien deutlich zu spüren, wenn es vermehrt zu negativen Schlagzeilen über Syrer kommt und dieses Thema instrumentalisiert wird. Ich werde mich jetzt auch in meiner Bachelorarbeit mit Medien und der Berichterstattung zu Syrern beschäftigen. Es wäre schön, wenn in der Gesellschaft mehr interkultureller Austausch, v.a. in der Uni und auf der Arbeit, stattfinden würde, um diese Vorurteile abzubauen. Natürlich müssen auch wir uns anstrengen. Durch mein ehrenamtliches Engagement habe ich eigentlich alles erreicht, was man braucht, um in Deutschland anzukommen. Ich konnte zum Beispiel Kontakte für eine Arbeit knüpfen. Daher kann ich allen anderen Geflüchteten nur empfehlen sich zu engagieren. Außerdem sollte man auch selbst aufgeschlossen und positiv den Deutschen gegenüber sein. Man sollte nicht die selben Fehler machen wie einige Deutsche und alle in einen Topf werfen. Geduld ist wichtig, die Sprache zu erlernen, nicht an Geld, sondern an Bildung zu denken- also lieber langfristig und nicht kurzfristig zu denken. 

Ali: Ankommen bedeutet für mich, dass mich Menschen auf Augenhöhe behandeln. Ich habe alles hierfür erforderliche von meiner Seite getan. Dazu helfe ich gerne anderen Geflüchteten, sich hier besser zurecht zu finden und gebe ihnen meine Erfahrungen weiter. Ich wollte von Anfang an keinen besonderen Status, kein Bittsteller sein, nicht vom Staat abhängig. Trotzdem fühle ich mich nicht zu 100 % angekommen und angenommen, da ich leider auch Ausgrenzungserfahrungen machen musste.

Fatima: Das kann ich leider nur bestätigen. Leider gibt es oft Vorurteile gegenüber Frauen mit Kopftuch- viel zu oft nimmt man an wir seien ungebildet. Besonders merke ich das bei meiner Schwägerin, die Ärztin ist und für ihren Job ihr Kopftuch ablegen musste. Ich wollte eigentlich zunächst Jura studieren, aber da ich befürchte mit meinem Kopftuch keinen Job als Juristin zu bekommen, habe ich mich entschieden etwas anderes zu studieren, womit ich auch international mobiler sein kann.

Habt ihr noch einen Appell an die Politik?

Flüchtlingswohnheime sollten so schnell wie möglich geschlossen werden, um Geflüchteten von Anfang an den Zugang zur Gesellschaft zu ermöglichen; es sollte einen besseren Zugang zu Sprachkursen geben; eine Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt und Unterstützung von interkulturellen Programmen, um Rassismus abzubauen. Außerdem sollten Abschiebungen nach Afghanistan, wegen der dortigen Sicherheitslage, gestoppt werden; es sollten mehr Resettlement-Programme in den Herkunftsländern eingeführt werden, damit gerade auch die Mittellosen kommen können und keine gefährlichen Fluchtrouten auf sich nehmen müssen, wie zum Beispiel auch über das Mittelmeer. Schließlich sollte der Waffenverkauf in Kriegsländer gestoppt werden um nicht weitere Fluchtgründe zu verursachen.

Zitiervorschlag:
Şahin, Safiye: Ankommen in Deutschland – drei Studierende mit Fluchtgeschichte erzählen, RLC Journal (2019) 20. 
<https://rlc-journal.org/2019/ankommen-in-deutschland/>


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