Abschiebungen im Rechtsstaat zu Zeiten von Rechtspopulismus

Abschiebungen werden in Deutschland seit dem Jahr 2016 als das wichtigste Instrument für die „geregelte Migration“ gefeiert. Nicht nur die AfD auch CSU/CDU und Bundeskanzlerin Merkel betonen immer wieder, wie wichtig es für den Rechtsstaat sei, ausreisepflichtige Menschen abzuschieben.

Unabhängig von der Frage, ob Abschiebungen notwendig für einen Rechtsstaat sind oder nicht, ist die Gleichgültigkeit, mit der die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips hingenommen wird, wenn es um den Umgang mit abgelehnten Asylbewerber*innen und ausreisepflichtigen Menschen geht, ein Fehler.

Wer Geflüchteten bei einer Klage gegen den ablehnenden Asylbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unterstützt, wird als Teil einer den Rechtsstaat gefährdende „Anti-Abschiebeindustrie“ diffamiert. Allerdings sieht der Rechtsstaat genau dies vor; nämlich die Möglichkeit gegen eine negative Behördenentscheidung rechtlich vorzugehen. Noch ausschlaggebender ist diese Möglichkeit, wenn bedacht wird, dass ein Drittel der abgelehnten Asylsuchenden (bei Afghan*innen sogar über 60%) vor Gericht Recht bekommt, das BAMF also in diesen Fällen zu Unrecht einen Schutzstatus verweigert hat.

Besonders erschreckend ist der Umgang gegenüber dem Rechtsstaatsprinzip durch Berliner Ausländerbehörde und durch Berliner Polizei bei Abschiebungen. Am 21. August 2018 schrieb die Berliner Polizei an die Einrichtungsleiter*innen von Vertragsunterkünften des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und bat um Kooperation bei Abschiebungen. Die Polizei führt in dem Schreiben aus, dass für das Betreten des Wohnheims zum Zwecke einer Abschiebung kein Durchsuchungsbeschluss notwendig sei.

Dabei hat das OVG Berlin-Brandenburg im Februar 2018 einen Beschluss des VG Berlin bestätigt, wonach es sich beim Betreten einer Wohnung, zum Ersuchen und Ergreifen einer Person zum Zweck der Abschiebung, eindeutig um eine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG handelt, die einen vorherigen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss erforderlich macht. Auch Bewohner von Wohnheimen und Notunterkünften können sich dabei auf den Schutz der Wohnung aus Art. 13 GG berufen. Dazu kommt, dass es in Berlin keine Rechtsgrundlage für eine Durchsuchung zum Zweck der Abschiebung gibt. (VG Berlin, Beschl. v. 16.2.2018- 19 M 62.18, OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.2.2018 – OVG 6 L 14.18)

Es gibt hierzu einen weiteren Beschluss des Kammergerichts aus Berlin (Kammergericht Berlin, Beschluss v. 20.03.2018, 1 W 51/18), der im Prinzip die Argumentation des OVG stützt. Außerdem ein weiteres Urteil des VG Hamburg und einer Verfügung des Amtsgerichts Ellwangen.

Das bedeutet, dass bei Abholung zum Zwecke der Abschiebung einer ausreisepflichtigen Person aus einer Sammelunterkunft oder einer Wohnung ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorliegen muss, sollte diese nicht freiwillig der Polizei Zutritt gewähren oder vor die Türe des Zimmers oder der Wohnung treten. Andernfalls darf die Polizei nicht in das Zimmer oder die Wohnung eindringen.

Jedoch passiert genau das jeden Tag. Die Berliner Polizei erscheint ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss, den sie in Berlin ja gar nicht bekommen kann, da es in Berlin keine Rechtsgrundlage zum Zwecke der Abschiebung gibt. Nicht selten dringt sie dabei gewaltsam in die Wohnung bzw. den Schlafraum im Wohnheim ein und nimmt die*den Abzuschiebende*n fest. Sozialarbeiter*innen und Heimleiter*innen, die der Polizei ohne einen Durchsuchungsbeschluss keinen Zutritt zum Wohnheim gewähren, werden von der Polizei massiv unter Druck gesetzt und mit strafrechtlichen Konsequenzen bedroht. Den Flüchtlingsrat Berlin erreichen wöchentlich Anrufe und E-Mails diesbezüglich von geflüchteten und Mitarbeiter*innen in Sammelunterkünften.

Dabei stellt die Polizei die Anwendbarkeit des Artikel 13 Grundgesetz („Unverletzlichkeit der Wohnung“) auf Sammelunterkünfte nicht einmal infrage. Aber sie behauptet, es gelte Art. 13 Abs. 7 GG, „Gefahr im Verzug“, weshalb es keines Durchsuchungsbeschlusses bedürfe. Außerdem würde sie die Wohnung/das Zimmer gar nicht durchsuchen, sondern lediglich betreten, ein Durchsuchungsbeschluss sei daher nicht erforderlich (mehr dazu: PM Flüchtlingsrat Berlin). Dieser Argumentation widersprechen jedoch ganz klar die oben genannten Beschlüsse des VG Berlin, OVG Berlin-Brandenburg und des Berliner Kammergerichts (VG Beschl. v. 16.2.2018 – 19 M 62.18; OVG Beschl. v. 19.2.2018 – OVG 6 L 14.18; Kammergericht 20.3.2018 – 1 W 51/18).

Neben der regelmäßigen Verletzung des Art. 13 GG bei Direktabschiebungen aus Wohnungen oder Sammelunterkünften erreichten den Flüchtlingsrat besonders in 2018 Berichte über unwürdige und auch rechtswidrige Behandlung der Abzuschiebenden durch Landes- und Bundespolizei. Schläge und Erniedrigungen, Zwangsmedikation, Familientrennungen, Fesselungen und Abholung in Unterwäsche sind nur einige Beispiele (1 / 2 / 3). Die Vorwürfe werden von den Behörden geleugnet oder als „notwendige Maßnahme wegen Widerstandes oder aggressiven Verhaltens der Abzuschiebenden“ gerechtfertigt. Da Abschiebungen in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in weiten Teilen ohne unabhängige Zeug*innen stattfinden, ist es für die Opfer sehr schwierig, gegen rechtswidriges Behördenhandeln vorzugehen, zumal sie sich nach einer Abschiebung in der Regel nicht mehr in Deutschland befinden.

Durch die gängige Praxis der Berliner Polizei, den Abzuschiebenden das Mobiltelefon abzunehmen, ihnen häufig nicht einmal die Möglichkeit zu geben, vorab wichtige Nummern zu notieren und ihnen das Handy erst im Zielland wieder zu geben, wird darüber hinaus der Zugang zu effektivem Rechtsschutz bei Abschiebemaßnahmen verwehrt (Art. 19 Abs. 4 GG) .

Die Frage steht also im Raum: Was ist der Rechtsstaat wert, wenn er nicht für alle und vor allem nicht für verletzliche Gruppen gilt? Was ist ein Rechtsstaat wert, der von Politiker*innen und Medien immer nur dann beschworen wird, wenn er gegen Menschen nichtdeutscher Herkunft hart durchgreifen soll, auf der anderen Seite die Rechte genau dieser Menschen aber nicht zu schützen vermag?

Das Desinteresse weiter Teile von Gesellschaft und Behörden gegenüber der Verletzung von Grund- und Menschenrechten von Geflüchteten und die Missachtung von Gerichtsbeschlüssen, wenn diese zugunsten von Geflüchteten ausfallen, ist derzeit eine der größten Gefahren für den deutschen Rechtsstaat.

Nora Brezger arbeitet beim Flüchtlingsrat Berlin e.V.


Zitiervorschlag:
Brezger, Nora: Abschiebungen im Rechtsstaat zu Zeiten von Rechtspopulismus, RLC Journal (2019) 13. 
<https://rlc-journal.org/2019/abschiebungen-im-rechtsstaat-zu-zeiten-von-rechtspopulismus/>


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