Die Refugee Law Clinics (RLCs) sind politische Akteure. Wie sie wahrgenommen werden – wie die Öffentlichkeit sie auffasst – lässt sich nicht vorgeben. Die Wahrnehmung lässt sich aber beeinflussen; ein öffentliches Profil ist eine durchdachte Konstruktion. Was nicht konstruiert ist, wird zugeschrieben. Beim vergangenen RLC-Ost Treffen in Berlin haben sich freiwillige Konstrukteur*innen aus der gesamten Republik zusammengefunden. TL;DR: Streitkultur und Diskursethik sind Bestandteile des Konstruktionsprozesses.
Fest steht, die RLCs wollen ihre Rolle als politische Akteure ausfüllen. Besser: die RLCs stellen sich der Verantwortung, ihre Rolle sinnvoll zu nutzen.
Für eine durchdachte Konstruktion bedarf es zunächst einer besonnenen und ehrlichen Analyse davon, was eine RLC eigentlich ist. Notwendig sind hier weder Manifeste noch Legaldefinitionen. Es braucht die richtigen Fragen, bevor die gewünschten Antworten das Ergebnis vorwegnehmen.
Was ist eine Refugee Law Clinic? Wer sind die Leute, die dort aktiv sind? Was ist ein*e RLCler*in? Wer ist ein*e RLCler*in? Was sind die RLCs; als Bewegung? Was sind sie nicht? Für wen sprechen sie und über was können sie überhaupt sinnvoll sprechen?
weiß, weiblich, Mitte 20, hochgebildet. Funktionselite.
Das Resultat einer Analyse zeigt, das Gesicht der RLCs ist genau das. Das beispielhafte Mitglied der RLCs ist weiß, weiblich, Mitte 20 und hochgebildet. Sie studiert Jura. Mit ihrer Ausbildung als examinierte Juristin gehört sie mittelfristig zur Funktionselite in Deutschland und Europa. Sie wird Einfluss haben in Exekutive, Judikative, Legislative, Zivilgesellschaft, Rechtspflege, Medien, Kultur oder Politik. Dort wo Jurist*innen an den Schaltstellen sitzen, wird sie einen Platz und eine Funktion einnehmen.
Diese Erkenntnis löst – auch bei RLCler*innen – regelmäßig einen Schutzreflex an: Das klingt verdächtig nach Privileg. Aber passen RLC und Privileg zusammen? Diese Analyse, wer die Mitglieder und Aktiven in den RLCs eigentlich sind – oft unter dem Schlagwort constituency gemacht – muss aber schonungslos sein.
Alles andere wäre unehrlich. Diese Erkenntnis muss an den Anfang der Diskussion über das öffentliche Profil der RLCs gestellt werden. Hieraus – und nur hieraus – können die RLCs ein öffentliches Profil konstruieren. Alles andere rangiert zwischen Verblendung und Ignoranz. Auch die RLCs machen einen Fehler, wenn sie sich anheischig machen, etwas anderes zu sein, als sie sind und ihr Gesicht hinter dem Topos Refugee zu verstecken.
RLCler*innen sind nicht die Geflüchteten. Sie sind nicht die Migrant*innen. Sie vertreten keine Geflüchteten. Sie vertreten keine Migrant*innen.
Sie sind Menschen, die in konkreten Fällen für Geflüchtete und Migrant*innen Partei ergreifen . Sie sind Menschen, die einen politischen Grundkonsens in Deutschland und Europa tragen, der sich der tradierten Links/Rechts-Dichotomie entzieht. Sie sind Menschen, die den Grundkonsens zumindest erhalten wollen. Ein Rückschritt hinter diesen Grundkonsens ist für sie keine Option.
Das Narrativ: #ZugangZumRecht und #SocialJusticeEducation
Öffentlichkeitsarbeit, die wirkt, basiert auf Geschichten. Um die Wahrnehmung zu steuern und ihre Rolle sinnig zu füllen, brauchen die RLCs ein markantes Narrativ, das ihre Ziele trägt. Aus ihrer constituency lässt sich ein Narrativ aus zwei Handlungssträngen spinnen: #ZugangZumRecht und #SocialJusticeEducation.
#ZugangZumRecht ist der Einzelfall. Es gibt ein unabdingbares Recht einer jeden Person Rechte zu haben. Wo jede*r das Recht hat Rechte zu haben, muss jede*r das Recht haben, diese Rechte zu nutzen. Die RLCler*innen zeigen mit ihrer Arbeit auf, wo der Zugang zum Recht gefährdet ist. Es ist auch ihr Rechtsstaat. Er liegt auch in ihrer aller Verantwortung.
#SocialJusticeEducation ist die Jurist*innenausbildung. Als Legal Clinics erheben die RLCs Anspruch darauf, bei der überfälligen Reform der Jurist*innenausbildung mitzuwirken. RLCler*innen wollen ihre Ausbildung selber gestalten. Sie sind nicht bloße Adressat*innen von Studiengangplan und Examenskanon. Jurist*innen gehören zur Funktionselite einer bürokratisch organisierten Gesellschaft. Bürokratisch organisierte Gesellschaften brauchen eine kritische Funktionselite; keine Subsumtionsautomaten.
Und wen interessiert was die RLCs sagen?
Die Frage muss anders herum gestellt werden. Wenn die RLCs aus ihrer constituency und ihrem Narrativ heraus stringent argumentieren dreht sich die Beweislast. Die Frage lauten dann viel mehr: Worüber können die RLCs legitim sprechen? Zu welchen Fragestellungen haben sie die Legitimität einen Beitrag zu leisten?
Die Antwort: Es kommt drauf an. Gerade dann, wenn die RLCs einzelfallabhängig eine thematische Argumentation aus ihrer constituency und ihrem Narrativ herleiten können, können sie Deutung beanspruchen. Die Präklusion in einem thematischen Kanon ist, was ihre Legitimität untergräbt.
Die RLCs sind nicht immanent legitimiert über Seenotrettung, Grenzregimes und Residenzpflicht zu sprechen. Sie sind es dann – und nur dann -, wenn sie de jure oder de facto aus ihrer Arbeit entweder eine Barriere für den #ZugangZumRecht oder eine Erkenntnis zur Förderung der #SocialJusticeEducation ziehen können.
Wenn die RLCs diesen argumentativen Kurs halten, sind andere Akteure gezwungen, sich damit auseinander zu setzen. Hier können sie sich in ihrem Themenfeld profilieren. Hier haben sie einen unique selling point. Hier können sie einen sinnvollen Beitrag leisten.
modus operandi
Ein öffentliches Profil besteht aus vielen Einzelhandlungen. Jedes Gespräch – ob öffentlich oder im Hintergrund – jede Aktion, jeder Beitrag, jede Meinungsäußerung, Kampagne oder Wortmeldung ist gleichwertiger Bestandteil dieser Konstruktion und muss als solcher behandelt werden. Die Konstruktion jedes dieser Bestandteile folgt einem immergleichen Schema: Adressat, Narrativ, Medium; in dieser Reihenfolge.
Wer soll erreicht werden? Auf welches Narrativ lässt es sich zurückführen? Welches Medium ist geeignet?
So kann ein persönliches Gespräch mit eine*r Referatsleiter*in über die aktuellen Begründungstrends von Bescheiden ebenso wirksam sein wie eine Podiumsdiskussion zur kommunalen oder überregionalen Abschiebepraxis. Vielleicht aber auch eine abgestimmte Kombination aus beidem begleitet von einer angriffslustigen Social Media Kampagne; oder etwas völlig anderes. Es ist der vorausgehende Rationalisierungsprozess, der notwendig ist und der Aussage Legitimität verleiht: form follows function.
Ausblick
Die Arbeit der RLCs nimmt die Frage vorweg, ob sie politisch sind. Das wie kann und muss gestaltet werden. Die RLCs haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie ein kompetenter und dynamischer Akteur sind. Sie haben zudem die Chance, ihre Verortung noch selbst zu bestimmen. Als politisch unabhängiger Akteur, der legitimiert ist, sich sinnvoll mit Fragen auseinander zu setzen und seine Erkenntnisse und Vorschläge der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet Refugee Law Clinic und das ist nicht weniger als ihre ureigene Verantwortung gegenüber den Geflüchteten wie auch ihren Aktiven deren Namen sie beide im Titel tragen.
Alles andere wäre eine unentschuldbare Verschwendung des speziellen Wissens und Einblicks, den die RLCs durch unsere Arbeit in die tatsächliche rechtliche Situation von Geflüchteten und Migrant*innen sowie in die Jurist*innenausbildung in Deutschland haben.
Zitiervorschlag:
König, Christoph: RLC & Politik | Geht das?, RLC Journal (2019) 3.
<https://rlc-journal.org/2019/rlc-&-politik-|-geht-das?>