Passbeschaffung: der Albtraum syrischer subsidiär Schutzberechtigter

Seit 2014 stellen Syrer*innen die größte Gruppe unter den Schutzsuchenden in Deutschland dar. Insgesamt sind nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bis Ende 2019 615.345 Schutzsuchende mit syrischer Staatsangehörigkeit nach Deutschland geflohen.

Die meisten Syrer*innen haben entweder die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutz erhalten, wobei die Zahl der subsidiär Schutzberechtigten am größten ist (rund 400.000 Personen). Diese bekamen bis Mai 2018 problemlos den grauen „Reiseausweis für Ausländer“. Seit Mai 2018 gilt in den Ausländerbehörden nach einer Anweisung vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) eine Regelung, nach der Syrer*innen mit subsidiärem Schutz keine grauen Reisedokumente mehr erhalten, sondern ihren Heimatpass verlängern oder neu beschaffen müssen. Personen mit Flüchtlingseigenschaft sind hiervon nicht betroffen, da sie per Gesetz den blauen Flüchtlingspass erhalten.

Passbeschaffung: rechtliche Grundlagen

Als syrische subsidiär schutzberechtigte Person muss man dann die syrische Botschaft aufsuchen und entweder einen neuen Pass beantragen oder den abgelaufenen Pass verlängern lassen. In vielen Fällen wird diese Art der Mitwirkung auch von den Ausländerbehörden als Voraussetzung für die Verlängerung des Aufenthaltstitels verlangt.

Die Mitwirkungspflichten sind u.a. in § 48 Abs. 3 AufenthG genannt. Wer demnach z.B. nicht im Besitz eines gültigen Passes oder Passersatzes ist, ist verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken, damit die Identität und die Staatsangehörigkeit festgestellt werden können. Hierfür kann ein Besuch bei der Botschaft erforderlich sein.

Gem. § 5 AufenthaltsVO kann ein Reiseausweis für Ausländer*innen ausgestellt werden, wenn die Passbeschaffung unzumutbar ist. Die Unzumutbarkeit muss dabei selbst nachgewiesen werden. Dies ist für viele syrische Geflüchtete schwierig bis unmöglich.

Warum lehnen viele syrische subsidiär Schutzberechtigte es ab, ihren Pass bei der Botschaft zu verlängern oder neu zu beantragen?

Es liegen zahlreiche Gründe dafür vor, dass subsidiär Schutzberichtigte nicht die syrische Botschaft aufsuchen möchten.

Rechtliche Gründe:

Zum einen besagt § 72 Abs. 1 AsylG, dass der Asylstatus oder Flüchtlingsstatus erlischt, wenn man den Nationalpass eines Staates, dessen Staatsangehörigkeit man besitzt, angenommen oder erneuert hat.

Für subsidiär Schutzberechtigte gilt § 72 AsylG nicht. Da sie nach Auffassung des BAMF nicht individuell verfolgt wurden, sind sie nach dem Gesetz nicht in Gefahr, wenn sie die Vertretungen ihres Heimatlandes aufsuchen. Daher sind sie, anders als Personen mit Asyl- oder Flüchtlingsstatus, auch verpflichtet, an der Beschaffung von Identitätspapieren aus dem Herkunftsland mitzuwirken.

Viele Syrer*innen mit subsidiärem Schutzstatus glauben jedoch nicht, dass der Besuch in der Botschaft für sie keine Gefahr bedeutet und sie befürchten, dass ihr Schutzstatus später aus diesem Grund widerrufen werden könnte.

Darüber hinaus haben viele subsidiär Schutzberechtigte gegen ihren Bescheid Klage gegen das BAMF eingelegt und begehren mit ihrer Upgrade-Klage den Flüchtlingsstatus. Viele Anwält*innen raten deswegen vom Botschaftsbesuch ab, da andernfalls die Glaubwürdigkeit der Klägerin oder des Klägers riskiert werden könnte. Auch aus diesem Grund sehen viele subsidiär Schutzberechtigte vom Besuch in der Botschaft ab.

Politische Gründe:

Viele subsidiär Schutzberichtigte wurden tatsächlich politisch vom syrischen Regime verfolgt, auch wenn das BAMF nicht zu dieser Auffassung gelangt ist und die Betroffenen somit nicht als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) anerkannt hat. Ein Grund hierfür kann sein, dass die persönlichen Fluchtgründe nicht nachgewiesen werden konnten, da nur selten Unterlagen des Regimes vorliegen, aus denen hervorgeht, dass die betroffene Person tatsächlich individuell verfolgt wurde. Viele Syrer*innen sind den syrischen Geheimdiensten bekannt, da sie an Demonstrationen teilgenommen haben, können dies gegenüber dem BAMF aber nicht beweisen. Außerdem sind viele Syrer*innen in den sozialen Medien aktiv, wie etwa bei Facebook oder bei Twitter. Geheimagenten des Regimes überwachen die sozialen Medien und senden regelmäßig Berichte an die zuständigen Geheimdienste. Sie werden „die elektronische syrische Armee“ genannt und sind eine Außenstelle des militärischen Geheimdienstes. Auch hieraus kann sich eine persönliche Verfolgung und Gefährdung ergeben.

Darüber hinaus betrachtet das Regime alle Geflüchteten als Verräter*innen, weil sie das Land verlassen haben und über das, was in Syrien passiert, also tägliche Menschenrechtverletzungen und Kriegsverbrechen wie Folter in den Gefängnissen und Massenhinrichtungen, offen sprechen. Nach Ansicht des Regimes sind syrische Geflüchtete damit nicht nur für den weltweiten Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Syrien verantwortlich, sondern auch für die internationalen wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Land.

Tatsächlich gehen mehrere europäische Strafverfolgungsbehörden mittlerweile gegen Angehörige des Regimes vor und stützen sich hierbei unter anderem auf Informationen und Beweise von geflohenen Syrer*innen. Drei Beispiele: 

Gegen General Ali Mamluk, ehemaliger Chef des nationalen syrischen Geheimdienstes, auch „Ingenieur der Folter“ genannt, wurde von einem französischen Untersuchungsrichter im November 2018 ein Haftbefehl ausgestellt wegen „Mitschuld an Folter“, „Mitschuld an erzwungenem Verschwindenlassen“ und „Mitschuld an Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“. Das Gericht stützte sich auf die „Caesar files“ bestehend aus fast 50.000 Fotos von Folteropfern in syrischen Gefängnissen. „Caesar“ (so sein Deckname) war Soldat in Syrien und zu seinen Aufgaben gehörte es, Fotos von den Gestorbenen zu machen. Caesar ist inzwischen mit seiner Familie nach Europa geflohen und konnte die über 50.000 Fotos der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.
Im Juni 2018 wurde bekannt, dass der Bundesgerichtshof (BGH) internationale Haftbefehle gegen Jamil Hassan, den ehemaligen Leiter des syrischen Luftwaffengeheimdienstes, und sechs weitere Geheimdienstchefs erlassen hat. Ihnen wird eine Mitschuld an Massenmord, Sexualdelikten und politische Verfolgung vorgeworfen. Der BGH stützte sich auf Aussagen von neun syrischen Zeuginnen und Zeugen, darunter der Anwalt Anwar Al-Bunni.
Am 23.04.2020 startete vor dem Oberlandesgericht Koblenz ein Verfahren gegen Anwar Rislan, ehemaliger Leiter der Ermittlungseinheiten in der Abteilung 251 des Geheimdienstes, und einen weiteren Angeklagten. Anwar Rislan hatte die Befehlsgewalt über die Vernehmungsbeamten und das Gefängnispersonal in der Abteilung 251. Anwar Rislan ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 58-fachem Mord und Folter in mindestens 4000 Fällen, Vergewaltigung und sexueller Nötigung angeklagt. In dem Prozess werden über 80 Zeug*innen gehört, viele davon wurden selbst gefoltert. Auch hier spielt die Aussage von Anwar Al-Bunni, der ebenfalls in Syrien inhaftiert war und Anwar Rislan zufällig in Deutschland wiederbegegnete, eine wichtige Rolle.

Diese Beispiele zeigen, dass geflüchtete Syrer*innen eine große Rolle in der Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien spielen. Dem Regime ist dies ein Dorn im Auge. Bereits 2017 hat der General Isam Zahr-Aldin allen nach Europa Geflüchteten gedroht und ihnen geraten, besser nicht nach Syrien zurückzukehren. Einen Monat später wurde er durch eine Landmine getötet. Nach Ansicht vieler Regimekritiker*innen und Aktivist*innen hatte das Regime hier seine Finger im Spiel, um das Signal zu senden, dass derartige öffentliche Drohungen nicht erwünscht sind. Tatsächlich hatte die Drohung des General Isam Zahr-Aldin weltweit Kritik hervorgerufen.

Der Hass des Regimes richtet sich dabei insbesondere gegen junge Männer, die den Kriegsdienst verweigert haben, aber auch gegen alle anderen, die sich weigerten, an dem Krieg mitzuwirken. Entsprechend haben viele Geflüchtete große Sorgen um ihre noch in Syrien lebenden Familienangehörigen. Sollte das syrische Regime über die syrische Botschaft die persönlichen Daten der sich in Deutschland und Europa aufhaltenden Personen erhalten und so die Verbindung zu den in Syrien lebenden Familienmitglieder ziehen, kann das für diese extrem gefährlich werden.

Finanzielle und moralische Gründe:

Der Pass, den der syrische Staat durch seine Botschaft in Berlin für Bürger*innen ausstellt, hat eine Gültigkeitsdauer von lediglich zwei Jahren. Dafür verlangt die Botschaft Gebühren von 250 Euro bis 750 Euro. Für viele ist dies nicht zu leisten, vor allem wenn sie weit von Berlin entfernt wohnen. Da der Pass nur persönlich beantragt werden kann, fallen also noch Reise- und Übernachtungskosten an. Wenn man von rund 400.000 Syrer*innen mit subsidiärem Schutz in Deutschland ausgeht, kassiert das Regime jährlich Millionen nur aufgrund der Gebühren. Dabei ist davon auszugehen, dass mit den geleisteten Zahlungen weder Schulen oder Krankenhäuser noch die Infrastruktur wiederaufgebaut werden. Das Geld dient stattdessen der weiteren Finanzierung des Kriegs. Hierzu wollen viele syrische Geflüchtete entgegen des Drucks von Seiten der Ausländerbehörden nicht beitragen und lehnen es ab, die Botschaft aufzusuchen, auch wenn das bedeutet, dass sie keine Reisedokumente erhalten.

Solange in Syrien Unruhen herrschen und es keinen Rechtsstaat gibt, gelten syrische subsidiär Schutzberichtigte als Halb-Syrer*innen und Halb-Flüchtlinge, da sie weder vollkommen Rechte der Flüchtlinge noch vollkommen Rechte der syrischen Bürger*innen genießen.

Trotz all ihrer Bemühungen, sich  in der Gesellschaft zu integrieren, befinden sie sich in der Mitte einer alten abgetragenen Hängebrücke, wobei es bedrohlich ist, sich über die Botschaft, um syrische Pässe zu kümmern und sich so zurück zum syrischen Regime zu begeben, als auch in die andere Richtung ohne Pässe zu gehen, und die negativen Folgen der nicht erfüllten Verpflichtung der Passbeschaffung in Kauf zu nehmen. Insbesondere wenn es um die Verlängerung des Aufenthaltstitels geht oder wenn Leistungskürzungen oder die Verweigerung einer Arbeitserlaubnis drohen.


Weitere Quellen:

  • Kerstin Becker und Nadja Saborowski, Die Unzumutbarkeit der Passbeschaffung, Asylmagazin 1-2/2018, S. 16-23, https://www.net/fileadmin/user_upload/beitraege_asylmagazin/Beitraege_AM_2018/AM18-1-2_thema_mitwirkungspflichten.pdf (zuletzt abgerufen am 21.04.2020).

  • Carsten Hörich und Stud.Iur Moritz Putzar-Sattler, Mitwirkungspflichten im Ausländerrecht, Rechtsgutachten zu den Voraussetzungen von Sanktionen bei Nichtmitwirkung, Nov. 2017, abzurufen unter https://www.fluechtlingsrat-lsa.de/wp-content/uploads/2017/11/fluera_lsa_gutachten_2017_Mitwirkungspflichten_im_Auslaenderrecht.pdf (zuletzt abgerufen am 21.04.2020).

  • Boris Burghardt . Endlich ! – Erster Haftbefehl gegen einen ranghohen Vertreter des syrischen Assad-Regimes ,11.Juni.2018, https://voelkerrechtsblog.org/endlich-erster-haftbefehl-gegen-einen-ranghohen-vertreter-des-syrischen-assad-regimes/( zuletzt abgerufen am 14.05.2020).

Zitiervorschlag:
Moghdeb: Passbeschaffung: der Albtraum syrischer subsidiär Schutzberechtigter, RLC Journal (2020) 4. 
< https://rlc-journal.org/2020/passbeschaffung:-der-albtraum-syrischer-subsidiar-schutzberechtigter>


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