Vom Besuch in der Abschiebehaft bis zum Haftaufhebungsantrag: Erfahrungsberichte unserer Abschiebehaftberater*innen – Teil 2

Verfasst von Luisa Nabel, Hannah Franz, Anna Gleiser

Mitglieder der Abschiebehaftberatung Hamburg berichten anhand eines fiktiven Falls über ihre Erfahrungen aus der Beratung. Es handelt sich dabei um ein Kooperationsprojekt der Refugee Law Clinic der Universität Hamburg und der Law Clinic an der Bucerius Law School.

Rückblick:

A ist 2015 aus Ghana nach Deutschland gekommen. Nach seiner Ankunft hat er ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen, weil Ghana als sogenanntes sicheres Herkunftsland gilt. Auch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht hatte keinen Erfolg, sodass er seit 2019 ausreisepflichtig ist. A hat sich seitdem zwei Mal der Abschiebung entzogen.

Daraufhin wurde A in Abschiebehaft genommen. Ein Freund von A hat uns kontaktiert, sodass wir jetzt mit A zu einem Gespräch in der Rückführungseinrichtung verabredet sind.

Der Raum ist kahl und erinnert an einen Verhörraum bei der Polizei. Dies fällt besonders negativ auf, weil es sich bei der Abschiebehaft gerade nicht um eine Strafhaft handelt.

„Als wir mit einem Dolmetscher einen Betroffenen in der Abschiebehaft besuchten, waren während des gesamten Gesprächs zwei Mitarbeiter des Sicherheitspersonals anwesend. Auf Rückfrage wird uns mitgeteilt, dass diese Personen den Raum nicht verlassen dürfen und keinen größeren Abstand halten können. Uns wird jedoch versichert, dass sie nicht zuhören würden, da sie ja kein Arabisch sprächen. Der Einwand, dass sie jedoch Deutsch sprechen und somit die Übersetzungen verstehen, wird nicht beachtet. Sowohl der Ratsuchende als auch wir haben den Eindruck, dass ein richtig vertrauliches Gespräch so nicht möglich war“ – Zitat von Lara (Beraterin)

A erklärt, dass es ihm ganz gut gehe und es ihm an nichts fehle. Er möchte so schnell es geht aus der Haft raus und auch danach in Deutschland bleiben. Aus dem Grund habe er sich auch der Abschiebung mehrfach entzogen.

Ich erkläre A, dass wir für ihn einen Haftaufhebungsantrag stellen und dazu Einsicht in seine Gerichtsakte und seine Ausländerakte beantragen werden. Außerdem teile ich ihm mit, dass wir die Abschiebung selbst leider nicht verhindern werden können, da wir nicht berechtigt sind, im aufenthaltsrechtlichen Verfahren tätig zu werden. Auch lasse ich mir von ihm noch vor Ort den Haftbeschluss zeigen und bitte ihn, uns ein Foto davon zu schicken. Dadurch erfahre ich, dass A bei der Inhaftierung das Handy abgenommen wurde. Das ist jedoch nicht zulässig (gem. § 8 III HambAHaftVollzG ist lediglich das Nutzen eines Mobilfunkgeräts mit Kamerafunktion verboten. Eine Abnahme des Handys wäre durch das Abkleben der Linse nicht mehr notwendig. Von dieser Option wird von den Haftanstalten i.d.R. kein Gebrauch gemacht). Anders als eine Strafhaft dient die Abschiebehaft nicht der Bestrafung, sondern allein der Sicherstellung der Abschiebung. Es sind daher keine Gründe ersichtlich, wieso die Inhaftierten keinen Zugang zu ihrem Handy, dem Internet oder anderen persönlichen Gegenständen haben sollten. In Hamburg wird, im Gegensatz zu manchen Einrichtungen in anderen Bundesländern, immerhin W-LAN kostenlos zur Verfügung gestellt.

Nach unserem Gespräch mit A bemängelte ich gegenüber dem Personal die Abnahme des Handys, woraufhin A es zurückerhält.

4. Haftaufhebungsantrag und Akteneinsicht

Innerhalb kürzester Zeit schickt uns A, mit der Erlaubnis des Sicherheitspersonals, den abfotografierten Haftbeschluss des Gerichts.

Mit Hilfe des auf dem Haftbeschluss angegebenen Aktenzeichens und dem Verweis auf die Benennung als PdV, können wir nun Akteneinsicht und Haftaufhebung bei Gericht beantragen. Den Haftaufhebungsantrag werden wir nachträglich begründen, nachdem wir Einsicht in die Gerichts- und Ausländerakte nehmen konnten.  

Infokasten: Örtliche Zuständigkeit AG

Die erste Herausforderung bei der Stellung des Haftaufhebungsantrags, ist das örtlich zuständige Amtsgericht ausfindig zu machen. Gem. § 416 FamFG ist dasjenige Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ansonsten das Gericht, in dessen Bezirk das Bedürfnis für die Freiheitsentziehung entsteht. Befindet sich die Person bereits in Verwahrung einer abgeschlossenen Einrichtung, ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Einrichtung liegt.

Da A bereits in der Rückführungseinrichtung in Verwahrung ist und diese im Bezirk Mitte liegt, schicken wir den Antrag per Fax an das Amtsgericht Hamburg Mitte. Eine Übermittlung per E-Mail ist nicht möglich.

Bereits wenige Tage später erhalten wir per E-Mail Antwort vom Gericht mit einem Termin zur Akteneinsicht. Vor Ort wird uns zunächst nur die Gerichtsakte ausgehändigt. Diese dürfen wir nicht mitnehmen, sondern nur vor Ort abfotografieren. Dabei können wir uns gem. § 13 I, III FamFG i.V.m. § 413 III Nr. 2 FamFG als Beteiligte am Verfahren auf eigene Kosten eigentlich Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften durch die Geschäftsstelle erteilen lassen. Die Gerichtsakte umfasst allerdings lediglich knapp 40 Seiten, sodass das (noch) kein Problem darstellt.

Die Ausländerakte wird uns nicht automatisch mit ausgehändigt. Hier müssen wir noch einmal explizit nachfragen. Bereits dadurch wird deutlich, wie wenig sich das Gerichtspersonal teilweise mit Abschiebehaftfällen auskennt. Die Mitarbeiterin sagt, sie wisse nichts von einer Ausländerakte. Erst als sie eine Kollegin dazu holt, stellt sich heraus, dass die Akte dem Gericht in digitaler Form vorliegt. Nun wird eine CD in einen Computer eingelegt, über den wir auf die Ausländerakte zugreifen können.

„Wir haben darum gebeten, die Akten digital oder als Kopie mitnehmen zu dürfen, doch die Mitarbeiterin hat dies ohne Nennung eines Grundes abgelehnt. So haben wir dann über 1000 Seiten aus der Papierakte und von einem Computerbildschirm abfotografiert.“ – Zitat von Miriam (Beraterin)

Nachdem wir nun Zugriff auf den Inhalt der Ausländerakte haben, gehen wir sie gemeinsam Seite für Seite durch. Dabei halten wir Ausschau nach Gründen, die die Haft rechtswidrig machen. Unser primäres Ziel ist es, dass A aus der Haft entlassen wird .

Beim Studieren der Akten gehen wir sorgfältig vor. Dadurch dass A sich bereits mehrfach der Abschiebung entzogen hat, besteht Fluchtgefahr, sodass eine Abschiebehaft in Form der Sicherungshaft grundsätzlich nach § 62 IIIa Nr. 5 AufenthG zulässig erscheint. Auch hat A in der Anhörung ausgesagt, er „bringe sich lieber um, anstatt nach Ghana zurückzukehren“. Es ist leider ein weit verbreiteter Irrtum, dass durch eine solche Aussage die Abschiebung verhindert werden kann. Stattdessen wird die Verweigerung der Ausreise von den Gerichten als Bestätigung der Fluchtgefahr gesehen.

Infokasten: Haftgründe

Es gibt verschiedene Arten der Abschiebehaft. In der Praxis werden hauptsächlich die Sicherungshaft und die Überstellungshaft (Art. 28 II Dublin-III-VO) angewandt. Da es sich bei unserem Fall um eine Sicherungshaft handelt, sollen lediglich die zugehörigen Haftgründe vorgestellt werden.

Grundvoraussetzung ist, dass die betroffene Person vollziehbar ausreisepflichtig ist und der Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 62 III 1 Nr. 1, III a und III b AufenthG, der Haftgrund der unerlaubten Einreise nach § 62 III 1 Nr. 2 AufenthG oder der Haftgrund der Gefährdung nach den §§ 62 III 1 Nr. 3, 58a I AufenthG vorliegt.

In der Abschiebehaft liegt Fluchtgefahr mit widerlegbarer Vermutung vor bei
– Identitätstäuschung (§ 62 IIIa Nr.1 AufenthG)
– Verweigerung der Mitwirkung nach § 82 IV 1 AufenthG (§ 62 IIIa Nr. 2 AufenthG)
– einem nicht angezeigten Aufenthaltswechsel (§ 62 IIIa Nr. 3 AufenthG)
– einem Verstoß gegen das Einreiseverbot (§ 62 IIIa Nr. 4 AufenthG)
– Abschiebungsentziehung (§ 62 IIIa Nr. 5 AufenthG)
– Abschiebungsverweigerung (§ 62 IIIa Nr. 6 AufenthG)

In der Abschiebehaft liegt Fluchtgefahr mit Wertungserfordernis vor
– bei Identitätstäuschung (§ 62 IIIb Nr. 1 AufenthG)
– wenn Schleuserdienste in Anspruch genommen wurden (§ 62 IIIb Nr. 2 AufenthG)
– wenn eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit besteht (§ 62 IIIb Nr. 3 AufenthG)
– wenn Straftaten vorliegen (§ 62 IIIb Nr. 4 AufenthG)
– bei Mitwirkungsverweigerung (§ 62 IIIb Nr. 5 AufenthG)
– bei Verstoß gegen Wohnsitzauflagen (§ 62 IIIb Nr. 6 AufenthG)
– wenn der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, sich dem behördlichen Zugriff entzieht, weil er keinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat (§ 62 IIIb Nr.  7 AufenthG)

Allerdings kann die Haftanordnung trotz alledem rechtswidrig sein. Bei der Abschiebehaft handelt es sich um eine Freiheitsentziehung, sodass die Haftanordnung gem. Art. 104 I GG besonderen freiheitsschützenden Formvorschriften unterliegt (BeckOK GG/Radtke, 47. Ed. 15.5.2021, GG Art. 104 Rn. 4; Schmidt-Räntsch: Freiheitsentziehungssachen gem. §§ 415 ff. FamFG (NVwZ 2014, 110)). Ist eine solche Formvorschrift hier verletzt, kann die Haft rechtswidrig sein.

„Rund 50 % aller Haftanordnungen sind erfahrungsgemäß zumindest teilweise rechtswidrig“ – Zitat von Peter Fahlbusch (Anwalt)

Unsere Chancen stehen somit gar nicht schlecht, dass wir auch hier Verfahrensverstöße bei der Haftanordnung finden.

Die Ingewahrsamnahme lief rechtmäßig ab. Schon bald fallen uns jedoch einige Punkte auf, die auf den ersten Blick nicht rechtens erscheinen. So wurde die Abschiebehaft für eine Dauer von sechs Wochen angeordnet. Zur Begründung wird darauf verweisen, dass laut Haftantrag eine zeitigere Abschiebung mangels verfügbarer Flüge nicht möglich sei. Eine kurze Internetrecherche ergibt, dass durchaus wöchentlich mehrere Flüge von Hamburg bzw. über Frankfurt nach Ghana gehen. In einem solchen Fall hätte die Behörde genauer begründen müssen, wieso diese Flüge nicht in Frage kommen. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein (ärztlich oder polizeilich) begleiteter Flug notwendig ist oder im Rahmen einer Sammelabschiebung ein Charterflug erfolgen soll. Ausführungen zu einem solchen Grund finden sich im Haftantrag jedoch nicht.

Infokasten: Dauer der Inhaftierung/Beschleunigungsgrundsatz

Da eine Freiheitsentziehung einen massiven Grundrechtseingriff bedeutet, ist die Abschiebungshaft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2017 – V ZB 143/17). Im Haftantrag ist es deshalb notwendig die Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer zu erläutern und darzulegen, warum eine kürzere Haftdauer nicht ausreichend wäre. Dies beinhaltet die Angabe der einzelnen Schritte zur Vorbereitung der Abschiebung im konkreten Fall und die dafür eingeplanten Zeiträume. Ohne eine solche Erläuterung ist ein Haftantrag unzulässig. Liegt jedoch kein zulässiger Haftantrag zugrunde, ist auch die angeordnete Haft nicht rechtmäßig (BGH, Beschluss vom 07.03.2019 – V ZB 176/18).