Der Jahreswechsel steht kurz bevor. Diese Zeit ist immer Anlass zurückzublicken und zu reflektieren: Was ist im letzten Jahr passiert? Was hat uns herausgefordert? Wie sind wir diesen Herausforderungen begegnet? Und vielleicht am wichtigsten: Was lernen wir daraus für das kommende Jahr? Welche „guten Vorsätze“ wollen wir treffen?
Diese Fragen stellt sich auch die Refugee Law Clinic Berlin (RLC). Zunächst also ein kurzer Rückblick:
Auch 2018, war mit über 200 Besucher*innen im Wintersemester 2017/18, der Andrang bei der Ausbildungsveranstaltung der RLC sehr hoch. Ein Großteil der Vorlesungsteilnehmer*innen wollte in die Beratung einsteigen. Das Team der inzwischen über 100 Berater*innen der RLC kann sich also weiterhin über Zuwachs freuen.
Der anhaltende Zuwachs zur Berater*innenschaft und die komplexen Beziehungen zur Humboldt-Universität und Geldgebern stellen die RLC aber auch vor Herausforderungen.
Im Verhältnis zu den Geldgebern und der Humboldt-Universität wird zunehmend gefordert nachvollziehbar zu machen, wer bei uns berät und wie der Verein – der die finanziellen Zuwendungen abruft – sicherstellt, wie diese Mittel zu einer qualitätsgesicherten Beratung eingesetzt werden. Auch das Bedürfnis nach Transparenz für Berater*innen und Ratsuchenden fordert, dass die RLC Rechenschaft ablegen kann und die Qualität gesichert ist.
Intern musste – und muss – sich die RLC immer noch darüber klar werden, wie sie das Verhältnis zu den geldgebenden Dritten ausgestalten kann und will.
Auch die Kommunikation innerhalb des Vereins und zwischen dem Vorstand, der Geschäftsstelle und den Berater*innen war im vergangenen Jahr ein Fokus der Verbesserungsbemühungen der Refugee Law Clinic.
Doch trotz des beständigen Interesses vieler Studierender an den Belangen von Geflüchteten und Migrant*innen wurde insbesondere im vergangenen Jahr deutlich, wie sich die grundsätzliche Wahrnehmung der Thematik verändert hat: Die anfängliche Euphorie ist abgeflaut, negative Stimmen scheinen die Überhand im politischen Diskurs zu gewinnen, wie es kürzlich an den Äußerungen des Kandidaten Merz für den CDU-Vorsitz zu Art. 16a GG bei der dritten Regionalkonferenz der CDU in Thüringen deutlich wurde.
Daraus ergibt sich für die RLC die Frage, ob eine politische Positionierung angebracht und umsetzbar ist.
Diesen Themen hat sich die RLC im vergangenen Jahr gestellt.
Um einen gemeinsamen Dialog über diese Probleme innerhalb des Vereins zu führen, hat die RLC Berlin im Frühjahr 2018 die Zukunftskommission ins Leben gerufen.
Die Zukunftskommission ist ein Gremium, das aus Mitgliedern des Vorstands, Berater*innen und Teilnehmer*innen der Vorlesung besetzt ist. Die RLC will so alle Perspektiven mit einbeziehen und den Rahmen für einen Diskurs schaffen, bei dem jeder zu Wort kommen kann. Dadurch soll auch allerseits ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse und Erwartungen der unterschiedlichen Positionen entstehen.
Die Zukunftskommission war also seit ihrer Entstehung nach der Mitgliederversammlung im Februar 2018 mit hohen Erwartungen konfrontiert. Insgesamt haben sich achtzehn Interessierte gemeldet bei dem „Pilotprojekt“ mitzuwirken.
Nach dem Rückblick nun die Reflexion: Wie ist die Zukunftskommission den Herausforderungen begegnet?
Die Zukunftskommission hat sich in Arbeitsgruppen untergliedert, die mit Fokus auf einen Themenbereich bzw. eine Herausforderung gearbeitet haben. Die Vorschläge wurden bei gemeinsamen Treffen aller Arbeitsgruppen diskutiert und gegebenenfalls verändert. Die Zukunftskommission hat die Vorschläge dann an den Vorstand weitergeleitet und dieser hat darüber abgestimmt oder sie bei einer Mitgliederversammlung zur Abstimmung gestellt.
Die Themen der Arbeitsgruppen waren unter anderem: Beratungsstruktur und vereinsinterne Kommunikation, Auswahlverfahren und Qualitätssicherung, empirische Erfassung und Verarbeitung der Beratungen, Engagement für den Verein außerhalb der klassischen Beratungstätigkeit.
Die wohl größte Veränderung, die aus der Diskussion der ‚Zukunftskommission’ hervorging, ist die Implementierung eines Auswahlverfahrens für die neuen Beraterinnen und Berater, was hier exemplarisch für die Arbeit des Gremiums dargestellt werden soll.
Die Arbeitsgruppe hat Kriterien für ein Bewerbungsverfahrens aufgestellt: Informationen über die Motivation, bisherige Erfahrungen in der Arbeit mit Geflüchteten und das Studium des Bewerbers bzw. der Bewerberin sollen eine fundierte Wahl der Auswahlkommission sicherstellen.
Die Einführung eines Auswahlverfahrens wurde innerhalb der Zukunftskommission kontrovers diskutiert: Ein Auswahlverfahren beeinträchtige den offenen Charakter der Refugee Law Clinic, wenn sich nicht mehr jeder und jede Freiwillige nach dem Ausbildungszyklus auch engagieren könne. Die gesamte Kommission hat über die Vorschläge beraten und diese teilweise modifiziert, so dass eine Lösung erzielt wurde, die für alle vertretbar und zufriedenstellend ist.
Der Ansatz der Zukunftskommission legt keine festen Aufnahmequoten fest, sondern orientiert sich an den Bedürfnissen der Beratungsteams. So wird Flexibilität gewahrt. Auch bieten die Aspekte, nach denen, im Rahmen einer umfangreichen Abwägung ohne Ausschlusskriterien, die Auswahlentscheidung getroffen wird, eine faire Chance für alle Interessierten.
Das Auswahlverfahren wurde in einer außerplanmäßigen Mitgliederversammlung angenommen und bereits für die letzte Generation von Berater*innen (Oktober 2018) eingesetzt. Das Auswahlverfahren nach dem Ausbildungszyklus 2017/2018 wurde von der weit überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer*innen und anderen Engagierten positiv und verständnisvoll aufgenommen.
Aufgrund des hohen Bedarfs an Unterstützung in den Beratungsteams konnte allen Teilnehmer*innen der Vorlesung, die sich für die aktive Beratung der RLC beworben haben, auch ein Platz in einem Beratungsteam vermittelt werden. Darüber hinaus waren Neugründungen von Beratungsteams möglich. Das Auswahlverfahren konnte seinen Zweck erfüllen, die angehenden Berater*innen zu einer Auseinandersetzung mit ihrer Motivation und ihren Kapazitäten zu bewegen und hat die Möglichkeit sich im Verein und in der Beratung zu engagieren letztlich in keiner Form eingeschränkt.
Alle Herausforderungen wurden in der Zukunftskommission thematisiert und waren Gegenstand intensiver Auseinandersetzungen. Zu einigen komplexen Fragen wurde noch kein endgültiges Ergebnis gefunden. Die Zukunftskommission markiert nichtsdestotrotz den Beginn einer Auseinandersetzung und Positionierung auch außerhalb des Vorstands.
Und abschließend der Ausblick: Wird die Zukunftskommission dauerhaft etabliert? Inwiefern eignet sich das Gremium auch für andere Law Clinics?
Die Zukunftskommission bietet den Vereinsmitgliedern die Möglichkeit, sich aktiv bei Entscheidungen bezüglich grundlegender Fragen Fragen zu äußern und mit einzubringen. Die Auswahl der angehenden Berater*innen, Qualitätssicherung und Kommunikation sind elementare Fragen für Refugee Law Clinics. Diese unter Einfluss möglichst vieler Perspektiven zu diskutieren und die Interessen aller Beteiligten mit einzubeziehen, sollte nicht nur die Ambition der RLC sein, sondern sie trägt eine Verantwortung alle Perspektiven mit einzubeziehen.
Die Größe des Vereins birgt die Gefahr der Distanzierung in sich: die Teams sind nicht vertraut mit den Vereinsstrukturen und es besteht nur wenig Austausch zwischen den Beratungsteams. Die Zukunftskommission kann diese Muster teilweise aufbrechen. Die Themen, mit denen sich die Zukunftskommission beschäftigt, werden im Umfeld der Kommissionsmitglieder besprochen und allein durch die Existenz des Gremiums wird deutlich, dass allseits Bemühungen zur gemeinsamen Verbesserung vorgenommen werden.
Die Zukunftskommission hat bewiesen, dass es nicht bei einem Diskurs geblieben ist, sondern umsetzbare Vorschläge für die Vereinsarbeit entstehen, die eine hohe Legitimität besitzen.
Die Zukunftskommission ist Ausgangspunkt für positive Entwicklungen im Verein und gemeinsam mit der Vorstandsarbeit, dem Rückhalt der Mitgliederversammlung und den Anstrengungen der Geschäftsstelle Grundlage für tatsächlichen Wandel.
Ergänzt man dieses Gremium mit Institutionen wie einem offenen Stammtisch wird die Vereinsbasis mit einbezogen und durch die unterschiedlichen Ebenen können Vorschläge aller berücksichtigt werden.
Die Zukunftskommission bietet den Refugee Law Clinics die Chance, im intensiven Austausch grundlegende Fragen zu diskutieren. Das macht Entscheidungen nicht einfacher und die Herausforderungen nicht weniger komplex, wird aber der flachen Hierarchie der RLC besser gerecht. Die Implementierung eines Gremiums, das anstrebt alle „Stufen“ des Engagements zu erfassen, ist für alle Refugee Law Clinics wünschenswert und die Refugee Law Clinic Berlin wird die Zukunftskommission als dauerhafte Vereinsinstitution etablieren.
Zitiervorschlag:
Schramm, Freya: „Gute Vorsätze“: Wie wir Ansätze für bestehende Herausforderungen unserer RLC liefern können, RLC Journal (2019) 4.
<https://rlc-journal.org/2019/„gute-vorsatze“:-wie-wir-ansatze-fur-bestehende-herausforderungen-unserer-rlc-liefern-konnen>