Rechtsanwältin Petra Haubner war auf dem diesjährigen 45. Feministischen Juristinnen*tag (FJT) in Freiburg Referentin des Workshops „Anwältinnen im Migrationsrecht“. In diesem persönlichen Beitrag erzählt sie, welche Motivation sie als als feministische Anwältin im Migrationsrecht vorantreibt, und aus welchen Gründen sie jungen Jurist*innen eine solche Arbeit ans Herz legt.
Nachwuchs wird dringend benötigt
Auf einer süddeutschen Rechtsberaterkonferenz im vergangenen Jahr beklagte sich eine leitende Mitarbeiterin des Bundesverbandes der Diakonie Deutschland darüber, dass der größere Teil der am Migrationsrecht interessierten jungen Jurist*innen eine berufliche Laufbahn in der Wissenschaft oder in den NGOs anstrebe, jedoch nicht im Anwält*innenberuf. Sie fand, wir als Anwält*innen müssten doch mehr Werbung für diesen Beruf machen. Schließlich fände Menschenrechtsarbeit nicht nur in der Wissenschaft und den NGOs statt, sondern wir Anwält*innen würden diese jeden Tag leisten.
Das von ihr angesprochene Problem war mir schon bekannt. Wir sind zur Zeit nur drei Anwält*innen und haben genug Arbeit für mindestens drei weitere. Unsere Kanzlei ist schon seit einigen Jahren erfolglos bemüht, junge Anwält*innen für das Migrationsrecht zu interessieren und anzustellen. Dies mag auch am Standort liegen (Wer will schon nach Niederbayern?), aber hauptsächlich wohl daran, dass junge Jurist*innen keine Anwält*innen mehr werden wollen.
Die Tätigkeitsfelder im Migrationsrecht sind vielfältig
Das Migrationsrecht ist ein weites Feld und nicht beschränkt auf die Vertretung von Geflüchteten im Asylverfahren, auch wenn dieser Eindruck zuletzt bei hohen Flüchtlingszahlen entstanden sein mag. Natürlich gibt es da zur Zeit viel Arbeit und bundesweit viel zu wenige Kolleg*innen, die auf dieses Feld spezialisiert sind und viel zu viele Kolleg*innen, die das bloß ”ein bisschen“ machen und deshalb leider oft die Mandant*innen unzureichend vertreten.
Das Migrationsrecht beinhaltet daneben aber auch die Vertretung in sehr vielen anderen aufenthaltsrechtlichen Angelegenheiten, so zum Beispiel bei:
- Familiennachzug und familiäre Aufenthaltserlaubnisse, einschließlich Personenstandsrecht;
- Visaverfahren;
- Arbeitsmigrationsrecht (mit wachsender Bedeutung);
- Assoziationsrecht für türkische Staatsangehörige;
- Freizügigkeitsrecht für Unionsbürger*innen;
- Spätaussiedler*innen und Vertriebenenrecht;
- Aufenthaltserlaubnisse für Auszubildende und Studierende;
- Duldungen und Abschiebungsschutz;
- humanitäre Aufenthaltserlaubnisse;
- Ausweisungsrecht;
- Abschiebungshaft (bundesweit gibt es nur eine Handvoll Spezialist*innen in diesem Bereich);
- Einbürgerungen und Staatsangehörigkeitsrecht;
- Sozialrecht (Asylbewerberleistungsgesetz, SGB-Leistungen für Drittstaatsangehörige und Unionsbürger*innen – auch hier gibt es nur sehr wenige Spezialist*innen).
Auch Kombinationen mit anderen Rechtsgebieten sind gefragt
An vielen Schnittstellen können Anwält*innen ihre Kenntnisse im Migrationsrecht sehr gut mit anderen Arbeitsbereichen kombinieren, so zum Beispiel:
- bei der Vertretung geflüchteter Frauen in Gewaltschutz- und Nebenklageverfahren;
- in Strafverfahren, da jede Verurteilung das Aufenthalts- und Ausweisungsrecht betrifft, und da viele Strafverteidigerinnen* leider nur sehr unzureichende Kenntnisse im Aufenthaltsrecht haben;
- im Familienrecht bei der Aufenthaltssicherung über Ehegatten/Lebenspartnerinnen*/Kinder und im Personenstandsrecht;
- im Datenschutzrecht (auch hier gibt es nur sehr wenige Kolleginnen*, die sich im Dickicht der vielen Datenbestände und Register auskennen und die Rechte ihrer Mandantinnen* durchsetzen);
- im Zivilrecht, insbesondere im IPR, Arbeitsrecht, Mietrecht usw.;
- im Antidiskriminierungsrecht.
Wir können im Migrationsrecht also viele verschiedene Arbeitsbereiche abdecken, aber auch sehr spezialisiert in nur einem Bereich arbeiten.
Habt Ihr Interesse …
… an internationalen Bezügen, Europarecht und Völkerrecht? Kaum ein Rechtsgebiet hat so viele internationale Bezüge wie das Migrationsrecht. Und in kaum einem Rechtsgebiet werden die europa- und völkerrechtlichen Vorgaben durch die Behörden und Gerichten so oft ignoriert.
… an einer intensiven Zusammenarbeit mit NGOs, Wohlfahrtsverbänden, Haupt- und Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe? In kaum einem anderen Rechtsgebiet lassen sich so viele verschiedene Organisationen und Menschen kennenlernen. Unser Kanzlei vertritt nicht nur geflüchtete Mandant*innen, sondern berät auch im Rahmen von Beratungsverträgen mit den Wohlfahrtsverbänden die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in der Flüchtlingsarbeit und in den Jugendhilfeeinrichtungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
„Eigene Fortbildung findet nicht zuletzt durch Fortbildung anderer statt. Im regionalen Umfeld bieten sich Gelegenheiten mehr als genug.“
– Victor Pfaff, Rechtsanwalt, Frankfurt/Main
Habt ihr Neugier …
… an den konkreten Verhältnissen in den Herkunftsländern? Vor allem im Asyl- und Flüchtlingsrecht müssen wir uns gut mit den konkreten Bedingungen in den jeweiligen Herkunftsländern auskennen. Ich habe mittlerweile den Eindruck, als wäre ich mindestens zehn Jahre kreuz und quer durch Afghanistan gereist, obwohl ich nur virtuell dort war.
… an interkultureller Kommunikation? In unserer Kanzlei gibt sich die halbe Welt die Klinke in die Hand. Viele unterschiedliche Menschen und Herkünfte anstelle von vielen unterschiedlichen Zahlen, Verträgen und Steuern!
Habt Ihr Lust …
… auf einen „Kampf gegen den Staat“ bei der Vertretung von Schwächeren? Migrationsrechtler*innen verteidigen den “Rechtsstaat”. In keinem Rechtsgebiet ist die Quote fehlerhafter Bescheide so hoch wie im Asylrecht. Fast jeder zweite Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wird von den Verwaltungsgerichten aufgehoben. Der (sogenannte) Rechtsstaat versagt insbesondere bei Geflüchteten und bei den Armen.
„Der Rechtsstaat, wie wir ihn heute erleben, hat nichts mit dem Rechtsstaat zu tun, den wir im Studium kennengelernt haben“.
– Julia Kraft, Rechtsanwältin, Berlin
„Im Jurastudium war ich so naiv zu glauben, dass man sich darauf verlassen kann, dass Behörden viel daran gelegen ist, rechtmäßig zu handeln“.
– Simone Rapp, Rechtsanwältin, Berlin
… auf intensive Kontakte und sehr guten Austausch mit den Kolleg*innen im Migrationsrecht? Ich bin jetzt seit 24 Jahren Anwältin und nach meiner Erfahrung gibt es nur drei Netzwerke, in denen die kollegiale Zusammenarbeit so gut funktioniert: Bei den feministischen Juristinnen, im Sozialrecht und im Migrationsrecht. Wir haben alle genug (viel zu viel) zu tun und sehen uns deshalb nicht als Konkurrent*innen. Es gibt bundesweit sehr viele Netzwerke und Verteiler, in denen wir unsere Kenntnisse und Erfahrungen austauschen, zu denen wir in keinem Kommentar etwas finden können.
… auf Abwechslung und Herausforderung wegen ständiger Gesetzesänderungen und sich ständig ändernder Rechtsprechung? Gerade im Asylrecht häufen sich die neuen Gesetze in unglaublichem Ausmaß und es erfordert dauerndes Training, um auf dem Laufenden zu bleiben. In meinen Anfangsjahren als Anwältin fand ich es noch sehr ermüdend und langweilig, auch nur die NJW durchzublättern. Heute habe ich mindestens sechs Zeitschriften im Ausländer- und Asylrecht abonniert und lese sie teilweise zuhause auf dem Klo (Verzeihung!), weil ich alles so spannend finde und auf dem neuesten Stand bleiben möchte.
… die Welt ein bisschen besser zu machen? Das mag sich trivial anhören, aber wenn mich etwas angetrieben hat in den Jahren meiner Anwältinnentätigkeit, dann war und ist es die beständige Wut auf die bestehenden Verhältnisse. Sie wird täglich genährt von Berichten über die unmenschlichen Lebensbedingungen von Geflüchteten, über rassistische, sexistische, antisemitische Gewalttaten, die institutionalisierte Gewalt, über Bescheide der Behörden und verwaltungsgerichtliche Urteile, die vor Ignoranz gegenüber den Verhältnissen in den Herkunftsländern meiner Erfahrung nach oft nur so strotzen.
Es war noch nie so einfach, Anwält*in im Migrationsrecht zu werden.
Alle Kanzleien bundesweit sind überlastet. Viele Kolleg*innen sind kurz vor dem Ruhestand und möchten ihre Kanzleien und Mandate gerne in gute Hände übergeben. Die Kanzleien im Migrationsrecht werden meistens nicht verkauft, sondern werden nach einer Einarbeitungszeit von ein bis drei Jahren übergeben.
Von Oldenburg bis Passau, von Flensburg bis Rosenheim, von Greifswald bis Saarbrücken wird überall nach Anwält*innen für das Migrationsrecht gesucht. Es gibt aber auch noch viele weiße Flecken auf der Landkarte, wo es sich lohnt, eine Kanzlei zu gründen und wo die Mandant*innen erfahrungsgemäß Schlange stehen werden.
Die Verdienstmöglichkeiten waren noch nie so gut
Auf dem FJT sagte eine Kollegin zu mir: „Machen wir uns doch nichts vor, in gewisser Weise teilen wir die Einkommensverhältnisse unserer Mandant*innen.”
Sicherlich lässt sich im Steuer- oder Wirtschaftsrecht sechsstellig verdienen. Aber die Verdienstmöglichkeiten im Migrationsrecht waren noch nie so gut wie heute und sind aus meiner Sicht bereits sehr viel besser als z. B. im Familienrecht, Verkehrsrecht oder Strafrecht.
„An die Adresse künftiger Kolleginnen und Kollegen sei gesagt: Wer mit guter Rechtskenntnis und… mit kritischer Empathie migrationsrechtliche Geschäftsbesorgungsaufträge bearbeitet, wird bald überlastet sein, aber auch sein Auskommen haben – und wird viel tiefe Dankbarkeit erfahren.“
– Victor Pfaff, Rechtsanwalt, Frankfurt/Main
Eine eigene Kanzlei im Bereich Migrationsrecht bietet viele weitere Vorteile
- Ich suche mir meine Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen selbst aus.
- Ich suche mir meine Mandate selbst aus.
- Ich kann meine Arbeitszeiten, meinen Urlaub usw. selbst bestimmen.
- Ich brauche kein Marketing und keine Schulungen zur Mandant*innenakquise. Gute Kanzleien im Migrationsrecht bekommen in der Regel fast alle Mandate über Mundpropaganda der Mandant*innen und NGOs
Eine Arbeit als Anwält*in im Migrationsrecht ist die perfekte Kombination aus juristischer und politischer Arbeit
Auch wenn ich einiges in meinem Leben heute anders machen würde, habe ich es noch keine Sekunde lang bereut, Anwältin geworden zu sein, weil ich dabei mein politisches Engagement perfekt mit meiner Arbeit verbinden kann – ich betrachte das in unserer heutigen Arbeitswelt als unglaubliches Privileg! Ich gehe einfach in mein Büro und mache: Menschenrechtsarbeit.
Ich gebe zu: Die Kanzlei ist mein zweites Wohnzimmer und ich verbringe mehr Zeit hier als in meinem privaten Wohnzimmer – aber unsere Kanzlei ist ein sehr schönes Wohnzimmer (Und eine Couch für mein Mittagsschläfchen habe ich auch)!
Petra Haubner ist seit 1995 selbstständige Rechtsanwältin im Landkreis und in der Stadt Passau, seit 2008 fast ausschließlich im Bereich des Migrationsrechtes/ Asylrechts. Seit 2016 ist sie auch Fachanwältin für Migrationsrecht. Ihre Kanzlei ist die einzige vollständig auf das Migrationsrecht/Asylrecht spezialisierte Kanzlei zwischen München und Regensburg. Sie ist zudem Dozentin für Fortbildungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht bei allen Wohlfahrtsverbänden, Jugendhilfeträgern und der Deutschen Anwalt Akademie und Mitglied der Rechtsberaterkonferenz der mit den Wohlfahrtsverbänden und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen zusammenarbeitenden Rechtsanwält*innen. Petra Haubner wusste schon im Studium, dass sie Anwältin werden will und machte sich gleich im Anschluss an das Referendariat selbstständig. Da sie sich als eine radikallinke feministische antifaschistische Anarchistin versteht, kamen Tätigkeiten beim Staat, in der Justiz und Verwaltung, oder in einer großen Wirtschaftskanzlei nicht in Betracht. Nur als Anwältin konnte sie ihr feministisches Engagement fortsetzen.
Literatur
Pfaff, Viktor, “Die Verrechtlichung des Ausländer- und Asylrechts fordert die Anwaltschaft. Der Fachanwalt für Migrationsrecht wird mehr leisten, als sich um syrische Flüchtlinge zu kümmern.” Anwaltsblatt 2016, S. 82 – 86, abzurufen unter https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/anwaltsblatt/anwaltsblatt-datenbank
Brenner, Jochen, “Asylrecht: Chancengerechtigkeit”, Anwaltsblatt, 20.03.2019: https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/anwaeltinnen-anwaelte/anwaltspraxis/asylrecht-chancengerechtigkeit?full=1
Zitiervorschlag:
Haubner, Petra: Anwält*innen im Migrationsrecht – “Ich kann mein politisches Engagement perfekt mit meiner Arbeit verbinden.”, RLC Journal (2019) 18.
<https://rlc-journal.org/2019/anwaltinnen-im-migrationsrecht/>
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