Familiennachzug – eine Geschichte zwischen Hoffnung und Gesetz

Meine Geschichte – eine von Vielen

Mein Name ist Ismaiel. Ich bin einer von Vielen, die nach Deutschland geflohen sind mit der Hoffnung, ihre Frauen und Kinder nach ein paar Monaten ebenfalls in Sicherheit bringen zu können. Ich hatte mit meiner Frau, E. vereinbart, sie in maximal sechs Monaten nachzuholen. Aber aus den sechs Monaten sind fast vier Jahre geworden.

Das Gesetz ändert sich…und verändert Familiengeschichten

Da die deutschen Gesetze zum Familiennachzug verschärft wurden, hat sich in den letzten drei Jahren viel für Familien subsidiär Geschützter verändert. Anfang 2016 wurde die bisher intensivste Form des Eingriffs in das Recht auf Familienleben beschlossen: den Familiennachzug für diese Personengruppe für zwei Jahre- bis März 2018- auszusetzen. Menschen, die aus einem Bürgerkriegsland, wie beispielsweise mein Heimatland Syrien oder Jemen, geflohen waren, durften in dieser Zeit ihre Kinder und Ehepartner nicht in Sicherheit nach Deutschland bringen. Für uns Betroffene war das ein Schock.

Ich kenne einige Personen, die überlegten, zu ihren Familien in Syrien oder den Nachbarländern Türkei, Libanon, Jordanien zurückzukehren. Die Vorstellung, noch zwei Jahre länger getrennt zu sein, konnten sie nicht ertragen. Aber nach Syrien zurückzukehren war eigentlich keine Option – vor allem für die Menschen, die eine persönliche Verfolgungsgeschichte erlebt haben. Es wäre zu gefährlich gewesen. Andere konnten wegen ihrer Flucht nicht mehr nach Syrien zurück, weil sie nun als Verräter des Regimes galten. Einige konnten die Trennung trotzdem nicht ertragen. Sie sind zurückgekehrt. Andere Familien entschieden sich für eine illegale Reise nach Europa, über die Türkei und mit dem Schlauchbot nach Griechenland. Sie sahen dies als den einzigen Weg.

Wer geblieben ist, hat sehnsüchtig auf März 2018 gewartet.

Von der Aussetzung des Familiennachzugs konnte ich allerdings noch nichts wissen, als ich im Oktober 2015 über die Türkei und neun europäische Städte nach Deutschland gekommen bin. Ich kam mit der Hoffnung, schnellstmöglich einen legalen Rechtsstatus zu erhalten, um dann meine Frau nachholen zu können. Leider war das nicht der Fall. Ich musste erstmal fast ein Jahr warten, bis ich vom BAMF zu meinen Fluchtgründen angehört wurde. Darauf folgte im Januar 2017 die erste Katastrophe: ich bekam nur den subsidiären Schutz. Und dies obwohl ich neun Stunden lang der Anhöhrerin meine persönlichen Verfolgungsgründe dargestellt hatte. Ich klagte gegen den Bescheid. Die Flucht, eine neue Sprache, neue Kultur, Fremdheitsgefühl, Angst vor der Zukunft, Sorge um die in Syrien zurückgebliebenen Familienmitglieder war nicht genug, ich sollte noch eine langwierige Schlacht vor Gericht auf mich nehmen müssen.

Familienzusammenführung ist ab dem 16. März 2018 möglich, so stand es auf dem BAMF-Bescheid.

Zehntausende Leute, die von einem Botschaftsanruf träumen

Anfang 2018 habe ich- um sicher zu gehen- Termine für E. in drei verschiedenen deutschen Botschaften gebucht: Beirut (Libanon), Erbil (Irak) und Amman (Jordanien). Bei diesen persönlichen Terminen stellt man den Antrag auf ein Familiennachzugsvisum. Vor uns lange Wartelisten mit mehreren zehntausenden Leuten, die von einem Botschaftsanruf träumen. Eine Antragstellung in der Türkei war ausgeschlossen, weil es dort unmöglich ist, ein Visum für eine in Syrien lebende Person zu kriegen.

Das Bundestagsneujahrsgeschenk: die Familienzusammenführung der subsidiär Schutzberichtigten wurde bis August 2018 ausgesetzt. Der Bundestag beschloss Anfang Februar 2018 mit 378 gegen 298 Stimmen die Aussetzung zu verlängern und den Familiennachzug auf 1000 Personen pro Monat zu beschränken. Darüber hinaus müssen humanitäre Gründe vorliegen (gem. § 36a Abs. 2 AufenthG fallen darunter die Dauer der Trennung, die Betroffenheit von Minderjährigen, eine ernsthafte Gefährdung für Leib, Leben oder Freiheit oder schwerwiegende Erkrankungen). Darüber hinaus sind auch Integrationsaspekte zu berücksichtigen. Ich frage mich, ob die Bundestagsabgeordneten überlegt haben, wie man sich integrieren kann, wenn man sich ständige Sorgen um seine Familie in Syrien macht? Wenn man sein Kind seit mehr als drei Jahren nicht gesehen hat?

Ein Termin – ein Hoffnungsschimmer

Im Juli 2018 wurde für uns eine neue Hoffnung geboren. Die IOM (International Organization for Migration) in Erbil, die die dortige Botschaft bei dem Antragstellungsverfahren unterstützt, meldete sich telefonisch bei E.

„Sind die Unterlagen vollständig?“

Sie sagte: „Ja, alles ist vollständig.“

„Dann warten Sie auf einen Termin“, sagte die Mitarbeiterin der IOM.
Danach hörten wir ganz lange Zeit nichts mehr.

Vom kleinem Büro im Hof der juristischen Fakultät der HU aus kämpft die Refugee Law Clinic-Berlin (RLC) für  Menschenrechte, Gerechtigkeit und für den Schutz der Familieneinheit von Flüchtlingen.

Ich ließ mich im Oktober 2018 von der RLC-Familienfokusgruppe beraten und Meral übernahm die Verantwortung für meinen Fall. In mehreren E-Mails an die IOM im Irak hat Meral die schwierige Situation sehr gut erklärt und die Notwendigkeit eines Termins hervorgehoben, bis die IOM-Erbil einen Termin für den 24. April 2019 anbot. Aber wegen der langen Trennung war ich nicht damit zufrieden. Deswegen hat Meral nochmal mit der IOM in Beirut und in Amman Kontakt aufgenommen und um einen Termin gekämpft.

Im Dezember 2018 hat ein IOM-Mitarbeiter aus Amman E. angerufen und sie aufgefordert, die Unterlagen vollständig an die IOM zu schicken. Im Februar bekamen wir endlich einen Termin für den 19. März 2019.

E. beantragte ein Visum bei der jordanischen Botschaft in Damaskus. Sie sollte 14 Tage darauf warten. Nach der Vorsprache bei der IOM-Amman wartete E. noch weitere zwei Monate in Amman, bis sie das Visum von der deutschen Botschaft bekam.

Sie reiste noch ein Mal nach Syrien und nahm Abschied von ihren Lieben. Am 07. Juni 2019 stieg sie ins Flugzeug in Damaskus, landete am Flughafen Schönefeld und war endlich in Deutschland angekommen.

Jetzt ist alles einfacher geworden. Ich kann mich jetzt auf mein Leben, Arbeit, Studium in Deutschland konzentrieren. Zwar ist ein Teil meiner Familie noch in Syrien, aber ich habe den anderen Teil hier bei mir in Deutschland.

Aus Perspektive der Berater*innen der RLC (Meral Marie Sauer)

Keiner von uns möchte Überbringer*in schlechter Nachrichten sein. „Du hast alles versucht“, „Ich weiß nicht, ob es funktionieren wird…es liegt im Ermessen der Behörde“ – bei dem Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten heißt es oft „Du musst noch Geduld haben“. Die Ratsuchenden, die zu uns kommen sind zum Teil schon viele Jahre von ihrer Familie getrennt. Die Emotionen, die sich in wenigen Sätzen ballen und im kleinen Beratungsraum aufbauen sind oft sehr stark.

Als Berater*innen kennen wir die Hürden im Familiennachzugsrecht und das sind bei subsidiär Schutzberechtigten schon die Gesetzesgrundlagen an sich. Die Probleme einer Regelung wie der des § 36a AufenthG stechen sofort ins Auge: wie soll man humanitäre Gründe, z.B. eine Gefahr fürs Leben, auf Papier nachweisen können?

Hinzu kommt die sogenannte Kontingentregelung. Wer in einem Monat nicht ins Kontingent aufgenommen wird, stellt sich für den nächsten Monat an. Allerdings werden dann wieder neue Antragsteller*innen dazu gekommen sein. So verringert sich die Chance ein Visum zu bekommen immer mehr. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, was mit den nicht genutzten Kontingentplätzen aus 2018 passiert.[1] Diese Regelung gibt den Betroffenen sehr wenig Rechtssicherheit. Sie wissen zwar, dass sie wahrscheinlich irgendwann einen Termin oder Visum bekommen werden, das Zeitfenster ist allerdings so breit, dass darauf eine Familie keine tägliche Sicherheit bauen kann.

Wir versuchen gemeinsam mit den Ratsuchenden Wege zu finden, wie es weiter gehen kann oder z.B. wo auf eine Verfahrensdauer Einfluss genommen werden kann. Gerade bei solchen Verfahren, die mehrere Akteure und Behörden in einer langen Kette verknüpft, kann es schon mal passieren, dass eine Akte auf einem Stapel liegen bleibt, wo sie nicht hingehört. Am Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten sind die IOM, die jeweilige Botschaft, die Ausländerbehörde und das Bundesverwaltungsamt beteiligt. Es gilt dann herauszufinden, wo eine Schraube im System gelockert ist und wie sie wieder festgedreht werden kann, damit das ratternde Zahnrad der Bürokratie wieder seinen Lauf nehmen kann.

Berater*innen und Ratsuchende arbeiten dann als Team. Mit Ismaiels Genauigkeit und Eifer, die er mit Sicherheit auch aus seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in Syrien erworben hat, hat das – bei allen Schwierigkeiten des Verfahrens – sehr gut funktioniert. Nur wenn beide Hälften ihr Wissen gegenseitig ergänzen, kann sich der Kreis schließen und im besten Fall der familiäre Kreis wieder vereint werden.

Offene Sprechstunde der RLC-Familienfokusgruppe:

Mittwochs:  18 – 20 Uhr Adresse: Unter den Linden 9, 10117 Berlin
               Juristische Fakultät, Flachbau im Hof (Raum 13)


[1] Vgl. Adriana Kessler, Asylmagazin 8-9/2019, 295, 296: „Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten – Zur Umsetzung der gesetzlichen Beschränkung – ein Jahr nach der Neuregelung“.


Zitiervorschlag:
Moghdeb / Sauer: Familiennachzug – eine Geschichte zwischen Hoffnung und Gesetz, RLC Journal (2019) 19. 
<https://rlc-journal.org/2019/familiennachzug-–-eine-geschichte-zwischen-hoffnung-und-gesetz/>


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